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Die Hexen von Eastwick

Titel: Die Hexen von Eastwick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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Eingangstür herumgefingert oder vorsichtig eine Fensterscheibe
zerbrochen und hielte nun den Atem an. Jane lauschte, dann lächelte
sie in die Dunkelheit und erinnerte sich, daß das ihre Rendezvous-
Stunde war. Sie stand auf in ihrem durchsichtigen Nachthemd, legte
sich ihre kleine gesteppte Satinbettjacke um die Schultern und setzte
Milch für einen Kakao auf. Randolph, ihr gieriger junger
Dobermann, kam mit tapsenden Pfoten in die Küche, und sie gab
ihm einen steinharten Hundeknochen zum Beißen; er nahm die
Bestechung mit in seine Ecke und begann mit langen Zähnen und
zackigen rötlichen Lefzen eine schlimme Musik darauf zu machen.
Dann kochte die Milch, und sie trug den Kakao wie üblich die sechs
Stufen in den Wohnbereich hinauf und befreite ihr Cello aus dem
Kasten sein rotes Holz glänzte und schimmerte lebendig wie eine
besondere Art Fleisch. «Gutes Baby», pflegte sie dann laut zu sagen,
da die Stil e in den Wohntrakten der Siedlung ringsum kein Verkehr,
keine weinenden Kinder; das Aufstehen und Schlafengehen geschah
in al en Cove-Heimen tatsächlich synchron – ebenso beängstigend
war wie absolut. Prüfend hielt sie auf dem splittrigen Fußboden nach
einem Loch Ausschau, wo hinein sie den Dorn stecken konnte, und
nachdem sie den Notenständer, die dreiarmige Stehlampe und den
gradlehnigen Stuhl herangezogen hatte, begann sie zu spielen. Heute
nacht wol te sie die zweite von Bachs Suiten für Cel o solo in Angriff
nehmen. Es war eins ihrer Lieblingsstücke; ganz gewiß zog sie es der
ziemlich schwerfäl igen Ersten und der schrecklich schwierigen
Sechsten vor, die schwarz vor Vierundsechzigstelnoten war und
unmöglich hoch, eben für ein fünfsaitiges Instrument geschrieben.
Aber immer, sogar in Bachs uhrwerkähnlichsten Notenfolgen, gab es
etwas zu entdecken, etwas zu hören, den Augenblick, da eine Stimme
mitten in dem Räderwerk aufschrie. Bach war in Köthen glücklich
gewesen, abgesehen von dem plötzlichen Tod seiner Frau Maria und
der Heirat des so simpatico und musikalischen Prinzen Leopold mit
    seiner jungen Cousine, Henriette von Anhalt; Bach nannte die kleine
Braut eine «amusa», das heißt, den Musen feindlich. Henriette gähnte
während der höfischen Konzerte, und ihre Forderungen lenkten die
prinzliche Aufmerksamkeit von dem Kapellmeister ab, eine
Ablenkung, die prompt dazu führte, daß er die Kantorstelle in Leipzig
anstrebte. Er nahm den neuen Posten an, auch wenn die
unsympathische Prinzessin überraschend starb, noch ehe er Köthen
verlassen hatte. In der Zweiten Suite gab es ein Thema – eine
melodische Folge ansteigender Terzen und absteigender ganzer Töne
– das sich im Preludium ankündigte und dann in der Al emande eine
ergreifende Wende erfuhr, eine plötzliche Umkehr (eine Terz höher)
des Absteigenden; dadurch bekam die anschwellende (moderato) Melodie eine Schärfe, die immer wiederkehrte, gelangte der
Diskussionsgegenstand zu einem dissonanten Höhepunkt in einem forte dis a Akkord zwischen einem getril erten h und einem
fingerpeinigenden Lauf, piano, von Zweiunddreißigsteln. Das Thema,
stellte Jane Smart beim Weiterspielen fest, und auf dem
ungetrunkenen Kakao bildete sich eine schale Haut, war der Tod –
der betrauerte Tod von Maria, die Bachs Cousine gewesen war, und
der ersehnte Tod der Prinzessin Henriette, der in der Tat erfolgen
sol te. Der Tod war der Raum, den die aufwühlenden,
dahinstürzenden Noten freilegten, ein prächtiger polierter
Innenraum, der weiter und weiter wurde. Der letzte Takt sol te poco a poco ritardando gespielt werden und enthielt Interval e – das größte
von d bis d’ –, die ihre Finger mit einem gedämpften Kratzen den
Cellohals hinauf- und hinunterführten. Die Al emande endete auf
derselben tiefen Tonika, ungeheuerlich: der Ton verschlang die Welt.
Jane schummelte; eine Wiederholung war gefordert (die erste Hälfte hatte sie wiederholt), aber wie ein Wanderer, der beim Licht des
steigenden Mondes glaubt, er habe nun ein Ziel, wol te sie jetzt
schnel voran. Ihre Finger waren inspiriert. Sie eilte der Musik voraus;
    es war, als brodelte ein Kessel mit einer Mahlzeit nur für sie; sie
konnte keine Fehler machen. Die Courante entfaltete sich behende,
spielte sich von allein, zwölf Sechszehntel je Takt, nur zweimal in
jedem Teil leicht verzögert durch einen Viertelakkord, dann ihren
wirbelnden Lauf wieder aufnehmend, wobei das kleine Thema sich
fast verloren hatte. Jane

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