Die Hexenadvokatin
völlig bleich war, begann vor Aufregung zu zittern. Er warf »dem Geheimen Rat« einen giftigen Blick zu. »Sagt Ihr doch, wo und wann Ihr meine Tochter geschändet habt!«, verlangte er frech.
Aber da fuhr der Herzog unwillig dazwischen.
»Jetzt macht aber mal einen Punkt, Meister Dreher! Von ›schänden‹ war ja wohl noch nie die Rede, nicht wahr! Mir habt Ihr gesagt, dass Eure Tochter Rosina den Grafen liebt und sich im Vertrauen auf das Eheversprechen mit dem Beschuldigten eingelassen habe. Das geschah ja wohl freiwillig! Und ich will jetzt auf der Stelle wissen, an welchem Ort und wann genau sich das ereignet hat.«
Der Bäcker wand sich sichtlich. »Irgendwann im Fasching, Eure Durchlaucht«, murmelte er dann verlegen.
»So, so! Irgendwann also.«
Der Herzog war sich bewusst, dass die Zahl der ehelichen - aber hauptsächlich der unehelichen - Geburten neun Monate nach dem Karneval, der in München »Fasching« hieß, sprunghaft anstieg. Er sah längst mit Besorgnis, dass seine Untertanen die närrischen Tage offenbar nicht nur für Musik, Tanz und »Gaudi« aller Art nutzten, sondern auch zur Unzucht. Aber was sollte er schon machen?
Gegen so alte Bräuche kam selbst er nicht an. Zumal er persönlich auch das Fastnachtstreiben liebte - ohne Ausschweifungen allerdings. Er pflegte lustige Schlittenpartien durch
das verschneite München und durch die umliegenden Wälder abzuhalten.
»In welchem Monat ist Eure Tochter eigentlich, Meister Dreher?«, hakte »der Geheime Rat« plötzlich nach. Diese Frage war dem Alten nicht weniger unangenehm; offensichtlich wartete auch der Herzog auf seine Antwort. Da er sich nicht getraute, erneut zu behaupten, er wisse es nicht, druckste er eine Weile herum, zählte murmelnd und umständlich an seinen Wurstfingern ab und behauptete dann: »Sie muss so ungefähr im dritten Monat sein.«
»Ha! Jetzt habt Ihr Euch verraten, Meister!«, fuhr die Gräfin auf. »Heute ist der erste April und in der fraglichen Zeit war ich gar nicht in München - nicht einmal in Bayern, sondern noch in Italien. Der Münchner Fasching hat heuer überhaupt ohne mich stattgefunden! Eine Tatsache, die Seine Durchlaucht bestätigen kann. Sucht Euch einen anderen, der als Vater für Euren Enkel herhalten muss: Ich kann es jedenfalls nicht gewesen sein, der Eurem Töchterlein zu nahekam.« Inständig hoffte Alberta darauf, dass es sich nicht herumgesprochen hatte, dass sie sich Anfang Februar sehr wohl bereits in der Residenzstadt aufgehalten hatte.
»Was versteht denn ein Mannsbild wie ich schon von so ganz besonderen Weibersachen?«, jammerte der Zuckerbäcker nun. Der Möchtegern-Schwiegervater eines bayerischen Grafen war sichtlich geknickt, aber noch nicht bereit, klein beizugeben. »Vielleicht ist die Rosl auch erst im zweiten Monat. Was weiß denn ich?«
»Wir wollen das Mädchen fragen«, entschied der Herzog.
»Jawohl, Eure Durchlaucht, das wird am besten sein«, brummte der Feinbäcker erleichtert, verneigte sich tief vor dem Herzog und machte Anstalten zu verschwinden.
»Wohin in Dreiteufelsnamen will Er denn jetzt?«, rief ihn
Maximilian zurück. Nichts war mehr mit dem respektvollen »Meister« und »Ihr«. Die despektierliche Anrede des Herzogs bewies, dass seine Achtung für den älteren Mann sprunghaft gesunken war.
»Meine Rosl, das arme Kind, will ich holen, Durchlaucht«, tat der Schelm ganz harmlos.
»Nichts da, hiergeblieben, Dreher. Das wär’ ja noch schöner! Damit Er gleich eine Absprache mit Seiner Tochter treffen könnte! Geradezu bauernschlau, mein Lieber! Einer meiner Trabanten wird Rosina hierher begleiten.«
Der Alte machte ein langes Gesicht und sank förmlich in sich zusammen. Sie mussten ziemlich lange warten - gemessen an der kurzen Entfernung von der Residenz bis zum Haus des Feinbäckers und zurück.
»Warum dauert das so lange?«, knurrte der Herzog. »Kann der Trabant Seine Tochter nicht finden? Wo treibt sich die Maid denn jetzt schon wieder herum?«
Der Konditor merkte, dass der Wind sich offenbar um hundertachtzig Grad gedreht hatte, und er sah nicht sehr glücklich aus. Innerlich fluchte er gotteslästerlich. Hätte er sich bloß nicht darauf eingelassen! Aber derjenige, der ihm den »todsicheren« Vorschlag gemacht hatte, ja, der ihn erst auf diesen unseligen Gedanken gebracht hatte, der hatte es sträflich versäumt, genau zu recherchieren, ob und wann der verdammte »Hexenrichter« in München gewesen war …
Himmelkreuzdonnerwetter nochmal!
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