Die Hexenadvokatin
bemühen in einem Fall,
der gar keiner ist? Wir alle, meine Herren, da bin ich mir sicher, haben Wichtigeres zu tun! Es ergeht demnach folgender Beschluss …«
»Halt, halt! Graf Mangfall, so geht das aber nicht! Da haben wir übrigen Kommissare auch noch ein Wörtchen mitzureden«, protestierte einer, der sich offenbar übergangen fühlte.
»Eure Anmerkungen, werter Kollege, könnt Ihr anschließend, wenn ich fertig bin, noch anfügen. Ich denke aber, auch Ihr werdet mit meinem Urteil einverstanden sein, das ich nach stundenlangem, innigem Gebet um Erleuchtung, nach tagelanger Überlegung und unter sorgfältiger Einbeziehung der Gutachten sämtlicher Fachleute, die als Zeugen geladen waren, gefällt habe.«
»Sehr richtig!«, »Ganz meine Meinung!«, »Recht so, der Prozess muss ein Ende haben!«, »Schluss mit diesem Verfahren!«, »Die Frau ist geisteskrank!«, »Lasst das Fräulein laufen!«, so erklang es mit einem Mal aus den Reihen der wild durcheinander rufenden Kommissare. Nur vereinzelt drang schwacher Protest durch die Schreie derer, die sich für einen Freispruch ohne Wenn und Aber erwärmen konnten - denn dass der Oberste Richter das Verfahren mit diesem Urteil beschließen würde, unterlag keinem Zweifel mehr.
Der Bedenkenträger erkannte indes, dass er bei seinen Kollegen keinen Rückhalt fand, und schwieg mit sichtlich enttäuschter Miene.
»Das Urteil, zu welchem ich mit Gottes und seiner Heiligen Beistand gelangt bin, lautet, dass die Gräfin, Constanze Maria von Heilbrunn-Seligenthal, da erwiesenermaßen unschuldig im Sinne der Anklage, so bald als möglich in die Obhut ihrer Eltern übergeben wird, auf dass ihr die ärztliche Versorgung zukomme, die sie benötigt, um wieder an Körper, Geist und Seele zu gesunden. Ergangen und ausgefertigt am 1. April
anno Domini eintausendsechshundertundzwölf in München, der Haupt- und Residenzstadt des Herzogtums Bayern. Und so weiter und so weiter …«, fügte Gräfin Alberta für den eifrig kritzelnden Protokollanten hinzu, der sich mit den nötigen Floskeln auskannte. Mit einer energischen Handbewegung schloss sie die Akten und endigte damit den Prozess.
Niemand im Saal widersprach und als der Schreiber fertig war, erhoben sich sämtliche Richter und setzten ihre Unterschrift unter die Urkunde - auch der missmutige Kommissar, der vorhin noch protestiert hatte.
Constanze allerdings ließ durch nichts erkennen, dass der Vorgang etwas mit ihr zu tun hatte oder dass sie ihren Freispruch auch nur ansatzweise wahrgenommen hätte.
Sie begann, ein geistliches Lied zu summen und in monotoner Weise den Kopf hin und her zu wiegen. Auf einen Wink Albertas hin ergriffen die Knechte des »Eisenhans« die Novizin, die bereits so geschwächt war, dass ihre Beine ihr den Dienst versagten. Die Männer trugen das Mädchen mehr, als dass sie es aus dem Saal führten.
Die »Hexenadvokatin« war so vorausschauend gewesen, den Grafen von Heilbrunn-Seligenthal und seine Gemahlin für den nächsten Tag nach München zu bitten, um ihre Tochter in Empfang zu nehmen.
Am Verfahren selbst hatten sie auf eigenen Wunsch nicht teilgenommen. Die Eltern würden es als unerträglich schmerzhaft empfinden, ihr Kind als »Hexe« angeklagt zu sehen, hatten sie das Gericht wissen lassen.
Alberta vermutete jedoch, dass noch etwas anderes dahintersteckte: Die Heilbrunn-Seligenthaler hatten ihrer Meinung nach versucht, während des Prozesses schlagkräftige Mitstreiter - Männer vom Land - zu gewinnen, die ihnen geholfen
hätten, ihre Tochter aus dem Falkenturm zu befreien, falls es mit der Tortur ernst geworden wäre.
Obwohl freigesprochen, musste Constanze noch eine weitere Nacht im Gewahrsam des Kerkermeisters und seiner Frau verbleiben - etwas, das der Kranken aber nichts auszumachen schien.
Eine Anfrage an das Kloster, ob die Nonnen bereit wären, der Novizin für die kurze Zeit Aufnahme zu gewähren, hatte die Leiterin des Konvents abschlägig beschieden. Mater Maria Luisa di Sant’Angelo befürchtete - nicht zu Unrecht - erneut einen Auflauf der Menge, die das Urteil möglicherweise in ihrem Sinne interpretieren und Constanze weiterhin als »Heilige« verehren wollte …
Der Empfang bei der Kerkermeisterin verlief ruhig und freundlich wie immer. Obwohl die Familie durch die Anwesenheit der Novizin äußert beengt lebte, waren sich die Henkersleute klar darüber, dass der Graf von Heilbrunn sich nicht lumpen lassen, sondern für den Aufenthalt und die Verköstigung
Weitere Kostenlose Bücher