Die Hexenadvokatin
beschäftigt. Um ihn soll sich klammheimlich eine Reformbewegung innerhalb des Protestantismus herausgebildet haben, die bisher noch nicht öffentlich aufgetreten ist. Nicht einmal ein Name der Gruppe ist bis jetzt bekannt und leider bekommt man die Kerle auch nicht zu fassen.«
»Nur derjenige kann sie finden, dem die Gnade zuteilwird, dass sie sich ihm offenbaren. Sie selbst bestimmen, von wem sie entdeckt werden wollen - habe ich sagen hören«, mischte sich ein weiterer Gast in verschwörerischem Tonfall ein.
»Die ›Gnade‹ sagt Ihr?«, erkundigte sich ätzend scharf der Jesuitenmönch und in seine Augen trat ein unheilverkündendes Funkeln. Diesen Mann - einen Baron aus dem östlichen Bayern - würde er sich gut merken …
»Und man sagt auch, wer sie findet, muss Schweigen bewahren«, ergänzte Pater Winfried, ohne auf den Einwurf Contzens zu achten. »Auch in Frankreich erfreut sich der geheime Orden - wenn man ihn denn so nennen darf - inzwischen einiger Berühmtheit und sein Gedankengut soll sich in zahlreichen
geheimen Zirkeln verbreiten. Aber wie gesagt: Alles nur Gerüchte.«
»Ich habe gehört, dass sich sogar der englische Arzt, Alchemist, Paracelsusanhänger und Naturphilosoph Sir Robert Fludd ganz außerordentlich dafür interessiert«, warf der Hausherr ein.
Was den Jesuiten umgehend veranlasste, mit seinen langen, mageren Händen herumzufuchteln und zu giften: »Kein Wunder! Von diesem Ketzervolk auf der Insel kann man nichts anderes erwarten!«
Ehe die Stimmung vollends ungemütlich wurde, bat die Dame des Hauses ihre Gäste zu Tisch. Alberta zu Mangfall-Pechstein kam an diesem Abend die ehrenvolle Aufgabe zu, der charmanten Eva Benigna von Freyberg als Tischherr den Arm zu reichen und sie in den Speisesaal zu geleiten, wo sie ihr den Stuhl an der festlich gedeckten Tafel zurechtrückte.
»Wann wird wohl mir endlich die Ehre zuteilwerden, dass ich am Arm eines Kavaliers einen Saal betreten darf?«, ging es der Gräfin sehnsüchtig durch den Kopf. Die Umstellung auf das »Frau-Sein« würde ihr nach all der Zeit sicher nicht leichtfallen - aber am Ende würde sie es von ganzem Herzen genießen, so behandelt zu werden, wie es ihr eigentlich als einer Vertreterin des schwachen Geschlechtes zustünde. Doch sich mit der Rolle einer bloßen Hausfrau und Mutter zufriedenzugeben - das würde ihr nicht gefallen. Alberta seufzte insgeheim und verschob die Lösung dieser Probleme, die zumindest im Augenblick noch so wenig mit ihrem Leben zu tun hatten, auf später.
In der Mitte der langen, mit Blumengirlanden und Kerzenleuchtern geschmückten Tafel prangte auf einem Aufsatz eine riesige Porzellanschüssel, in der das abgetrennte Haupt eines
Keilers ruhte. Man hatte dem Wildeber mit den gefährlich blinkenden Hauern einen Rosmarinzweig ins Maul gesteckt und den Rand der Schüssel mit Weinblättern, geviertelten Zitronen und halbgeöffneten Rosenknospen aus einer gefärbten Zuckermasse dekoriert. Der Wildschweinbraten, der von den Mägden gerade in Scheiben geschnitten wurde, duftete verführerisch.
Die junge Gräfin verneigte sich vor der Hausherrin, um sich anschließend an ihren eigenen Platz zu begeben, der für sie - als Ehrengast des heutigen Abends - links von Eva Benigna war.
Das Geplauder bei Tisch war oberflächlich und heiter und, wie üblich, völlig nichtssagend. Keiner der Herren wollte die anwesenden Damen beunruhigen oder gar - Gott bewahre! - langweilen durch Gespräche über Politik.
Aber anschließend, nach dem ausgezeichneten Diner - Kalbsbrühe mit Eierstich und Hechtklößchen in einer Salbeisauce, gespickter Wildschweinrücken mit geschmorten Pflaumen und gebratenen Steinpilzen, fein abgeschmeckt mit Rosmarin und Rotwein, sowie eine lockerleicht geschlagene Weißweinschaumcreme als Dessert - zogen sich die männlichen Gäste ins unvermeidliche Raucherkabinett zurück. Und da flammten die heiklen Debatten über geheime Orden, obskure Bruderschaften, über Ketzer und Magie erneut auf.
Eine Stunde vor Mitternacht, ehe die ersten Gäste sich verabschiedeten, kam noch ein Bote aus der Residenz und brachte Preysing Kunde von zwei neuen Fällen der »Schlimmen Seuche«. Immer wieder flammte diese schreckliche Krankheit auf. Um die Stadtbewohner zu schützen, hatte man weit vor den Mauern, auf der gegenüberliegenden Seite der Isar, auf dem Gasteigberg ein Siechenhaus erbaut, worin sich freiwillige Pfleger der an dieser Geisel der Menschheit Erkrankten annahmen.
»Solange es
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