Die Hexenadvokatin
seiner Tochter noch einmal ordentlich in die Tasche greifen würde.
»Einen Abend und eine Nacht werdet Ihr leider noch unter unserem bescheidenen Dach verweilen müssen, Gräfin.« Die Kerkermeisterin lächelte der leicht zitternden jungen Frau aufmunternd zu. »Aber bereits morgen werden Euch Seine Gnaden, der Graf von Heilbrunn-Seligenthal, abholen und nach Hause bringen.«
Constanze nickte zwar, aber es war nicht sicher, ob sie das Gesagte begriffen hatte. Sie war erschöpft und wollte sich vor der Abendmahlzeit niederlegen - ein Wunsch, der umgehend respektiert wurde.
Ehe das Gericht auseinanderging, standen die Kommissare noch beisammen und diskutierten die letzten Tage und Wochen. Im Grunde war jeder froh, dass das Verfahren endlich zum Abschluss gekommen war - selbst wenn so manch einer sich möglicherweise ein anderes Ende gewünscht hätte …
»Dass dieses Frauenzimmer so ganz und gar ungeschoren davonkommen soll, das finde ich nicht sehr befriedigend«, maulte beispielsweise der Kollege, den Alberta vorhin noch mundtot gemacht hatte. »Ein klein wenig Strafe hätte sie meines Erachtens durchaus verdient!«
»Ich will Euch nicht widersprechen, Herr Geheimrat Findeisen.« Die Gräfin zu Mangfall-Pechstein hatte den Einwand keineswegs überhört. »Aber ich denke, Ihr könnt trotzdem zufrieden sein: Die Beschuldigte ist durchaus nicht straffrei geblieben. Überlegt Euch nur: In ganz Bayern ist sie jetzt als Geistesgestörte gebrandmarkt. Sie, die vor kurzem die Massen noch angezogen hat und von schlichten Gemütern als Heilige verehrt wurde!
Ob sie jemals wieder zu Sinnen kommt und einen adäquaten Ehemann findet, ist äußerst fraglich. Eines aber ist gewiss: Kein Kloster im Land wird sie - die angeklagt war, eine Hexe zu sein - erneut aufnehmen. Jede Oberin, die bei Sinnen ist, wird diese Art von Aufsehen nicht schätzen. Was also wird aus Gräfin Constanze, die es so liebte, im Mittelpunkt zu stehen, werden?«
Ein anderer Kommissar, der zugehört hatte, mischte sich ein: »Ein spätes Mädchen, nutzlos, verbittert und zeitlebens angewiesen auf die Gnade und Barmherzigkeit ihres ältesten Bruders und dessen Gemahlin, denen sie irgendwann, nach dem Tod der Eltern, zur Last fallen wird.«
Das machte auch den Geheimrat Findeisen nachdenklich und ließ ihn einstweilen schweigen. Ehe die Herren endgültig
auseinandergingen, erschien ein Diener in der rotschwarzen Tracht der Familie von Preysing und überreichte Alberta ein fein säuberlich verfasstes Schreiben auf echtem Pergament.
Der mächtige Edelmann, welcher in ganz besonderem Maße das Vertrauen Seiner Durchlaucht besaß, sprach darin »dem Obersten Kommissar« seine ganz speziellen Glückwünsche zu dem »wahrhaft salomonischen Urteil« aus und lud ihn für den Abend - samt Begleitung - zu einer kleinen Feier unter Freunden ein. Alberta sagte mit Freuden zu - auch im Namen Pater Winfrieds. Sie hätte schließlich nicht gewusst, wen sie sonst hätte mitbringen sollen …
»Oh! Der Preysing veranstaltet eigens wegen Euch eine Soirée! Das will schon etwas heißen, meine Liebe«, stellte der Pater befriedigt fest. »Darauf könnt Ihr Euch schon etwas einbilden. Er ist ein stolzer und kritischer Mann und findet fast an allem etwas auszusetzen. Offenbar hat ihm Eure Verhandlungsführung aber zugesagt. Und das bedeutet im Endeffekt, dass Ihr auch den Segen Herzog Maximilians habt.«
Ein Aspekt, der die Gräfin vollauf zufrieden stimmte. Nach langer Zeit der Sorge und des Bangens schien es nun endlich, als habe sich auch für sie das Rad der Fortuna einmal wieder zum Guten gewendet. Zudem schien sich zu bewahrheiten, dass der unselige Prozess letztlich ihre Juristenkarriere befördert hatte. Fast vergaß Alberta über ihrer Freude, dass ihre Tage als amtierende Richterin ja gezählt waren, würde sie doch schon bald an Albrechts Seite das »normale« Leben einer Edeldame führen. Ein Anflug von Wehmut überkam sie, der jedoch sofort ihrer Sehnsucht nach Albrecht wich.
KAPITEL 58
1. April 1612, abends, im Preysing’schen Palais
OBERSTHOFMARSCHALL JOHANN CHRISTOPH von Preysing, im Jahr 1607 vom Herzog in den Freiherrenstand erhoben und durch seine Gemahlin, Eva Benigna von Freyberg, seit 1608 Herr über Hohenaschau, empfing seinen Ehrengast mit ganz besonderer Herzlichkeit.
Der große, schlanke Herr, bekleidet mit einem reich bestickten, kupferfarbenen Seidengehrock über dem weißen Hemd mit Spitzenjabot und -manschetten, umarmte den um etwa
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