Die Hexenadvokatin
dass man mein Leben ruinierte?«, wiederholte Alberta leise fragend. Die schonungslose Härte dieser Feststellung klang noch lange in ihr nach und traf sie bis ins Mark. Hatte man sie tatsächlich und unwiderruflich zerstört?
»Freilich! Hätte man es zugelassen, dass Eure wahre Natur sich hätte entfalten können, wäret Ihr zwar nicht so gebildet wie Ihr es heute seid und gewiss könntet Ihr Euch auch nicht
mit einem Doktortitel schmücken. Dafür lebtet Ihr längst als die geschätzte Gemahlin eines wackeren Edelmannes und als Mutter mehrerer wohlgeratener Kinder wohlbehütet im Schoß einer adligen Familie. Das war Eure von Gott gewollte Bestimmung - nicht Euer Amt als Geheimer Rat unseres Herzogs und als Münchens Oberster Hexenrichter! Selbst wenn Ihr endlich zu Eurem angeborenen Geschlecht zurückkehrt, habt Ihr dennoch viele Jahre Eures Lebens vergeudet. Die Zeit Eurer Jugend ist unwiederbringlich verloren und vertan. Und die unbändige Wut des Fürsten werdet Ihr außerdem zu ertragen haben«, fügte er nüchtern hinzu und schenkte seinem Gegenüber einen beinahe mitleidigen Blick.
»Denn Maximilian wird Euch keinesfalls den Betrug so ohne weiteres verzeihen - wenn überhaupt jemals. Ihr habt Euch nämlich neben der schweren Sünde einen ganz exorbitanten Fehltritt geleistet: Ihr habt den Herzog vor den übrigen Herrschern Europas lächerlich gemacht. Er wird vor allen dastehen als ausgemachter Narr, der einen Mann nicht von einem Frauenzimmer unterscheiden kann. Ja, seine protestantischen Feinde werden ihn hämisch als einen traurigen Ignoranten schmähen, der die Hilfe eines schwachen Weibes zur Erledigung seiner politischen Aufgaben benötigte.
Die Tatsache, dass Euer Versuch zur Aufhebung des Kirchenbanns über Kaiser Ludwig gescheitert ist, wird man erneut aufwärmen. Und man wird den Grund dafür genüsslich dem Faktum zuschreiben, dass Seine Durchlaucht ›nur‹ ein törichtes Weibsbild mit dieser sensiblen Aufgabe betraut hat.
Und eines wollen wir ebenfalls nicht vergessen, mein Kind: Eure, sagen wir einmal, höchst unorthodoxe Führung der verschiedenen Hexenprozesse wird mit Sicherheit all Eure Gegner erneut auf den Plan rufen, die behaupten werden, dass alle Verfahren, denen Ihr vorgesessen habt und bei denen ihr
die Gefangenen habt laufen lassen, null und nichtig sind und die Angeklagten eigentlich alle zu verurteilen waren - auch die unglückliche, kleine Gräfin Constanze von Heilbrunn-Seligenthal.
Nur eine Frau , die das Gefühl stets über den Verstand stellt, konnte so urteilen, wie Ihr es getan habt: Das werden die Anhänger von Hexenverbrennungen sagen - im Übrigen behaupte ich das ebenfalls! Und sie werden das Argument ins Feld führen, dass es weibliche Juristen überhaupt niemals geben dürfe, weil der Verstand der Weiber dafür nicht ausreicht. Den Spottnamen ›Hexenadvokat‹ habt Ihr Euch jedenfalls redlich verdient. Wenn es auch eigentlich HEXENADVOKATIN heißen müsste, nicht wahr?«
Hätte Alberta es nicht besser gewusst, hätte sie fast denken können, in den letzten Worten des Paters läge eine gewisse Bosheit. Sie war wie betäubt.
»Mein Gott! Was soll ich jetzt bloß tun, Ehrwürdiger Vater?« Innerhalb kürzester Zeit hatte sich ihre so fest gefügt erscheinende Welt in einen Scherbenhaufen verwandelt.
»Ihr habt Euch nach dem Verständnis der Kirche eines schweren Vergehens schuldig gemacht, Gräfin. Ihr wart anmaßend und lebtet widernatürlich. Ich kann Euch davon nur lossprechen, wenn Ihr nicht nur aufrichtig bereut, sondern wenn Ihr mir außerdem schwört, Euch innerhalb kürzester Zeit dem Herzog zu offenbaren, seinen Zorn und seine Bestrafung demütig auf Euch zu nehmen und Euch von nun an so zu kleiden und zu verhalten, wie es Eurem Geschlechte geziemt.«
Mit diesem Urteil hatte Alberta rechnen müssen. Dennoch, als der Pater es aussprach, empfand sie es wie einen Schlag ins Gesicht.
»Ich verstehe ja, was Ihr mir auferlegt, Pater Contzen. Aber bitte bedenkt, dass nicht ich allein von diesem Geständnis betroffen
sein werde. Mein Vater, meine Mutter, mein ehemaliger Mentor: Sie alle werden durch mein Bekenntnis kompromittiert sein. Selbst meine jüngeren Geschwister, die gar nichts davon wussten, werden darunter leiden.«
»Das, meine Liebe, hättet Ihr Euch überlegen sollen, ehe Ihr zu mir kamt und ausgepackt habt.« Der alte Jesuit blieb ungerührt. »Übrigens - ich wiederhole es - ein äußerst raffinierter Schachzug! Sieht mir ganz nach Eurem
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