Die Hexenadvokatin
ihres Freispruchs das Einzige, was zählte.
»Wenn Ihr das glaubt, Graf, dann wird es wohl so gewesen sein.« Jakob von Beilfrieds Stimme triefte vor Hohn. »Was ich aber nicht begreife, ist, dass Ihr heute - trotz Eures scheinbaren Festhaltens am Hexenhammer - nicht darauf beharrt habt, diese hoffärtige Freda von Hoferichter zum Geständnis zu bringen. Ich selbst habe das Frauenzimmer während der vergangenen drei Tage als ziemlich anmaßend empfunden. Und ihre schamlose Art, sich zu kleiden, ist mir mehr als einmal unangenehm aufgestoßen.
Den Fetzen, den sie sich lässig um den nackten Hals drapierte, hat ihr die Frau vom Eisenhans regelrecht aufgezwungen, um ihren Busen wenigstens halbwegs zu bedecken. Solltet Ihr in Wahrheit ganz andere Interessen an dieser Person haben, Graf?«
Der Kommissar warf ihr einen lauernden Blick zu und Alberta ärgerte sich maßlos über die dreisten Anspielungen ihres Gegners. Was sollte sie auf diese - in ihrem speziellen Fall - geradezu aberwitzige Unterstellung antworten? Sie wusste überdies selbst, dass sie auf bestem Wege war, sich die Sympathien des Herzogs zu verscherzen, falls sie nicht die volle Härte der geltenden Rechtspraxis anwandte.
Schmerzhaft vermisste sie in diesem Augenblick ihren Mentor, den klugen Pater Winfried. Der Benediktiner wüsste bestimmt, wie dem unverschämten Jakob von Beilfried zu begegnen war. Aber der Mönch hatte sich nach dem Abendessen entschuldigt: Er müsse unbedingt noch etwas sehr Wichtiges erledigen … Die Gebote der Höflichkeit missachtend wandte die Gräfin ihrem Besucher den Rücken zu. Eingedenk der Ratschläge, die ihr Winfried gegeben hatte, wollte sie gerade ansetzen, Jakob von Beilfried einen Schwindelanfall vorzutäuschen, um Zeit zu gewinnen.
Aber ehe es dazu kam, hörte sie ihn bereits deklamieren:
»Wer A sagt, muss auch B sagen, Graf. Das ist eine alte Weisheit und auch meine feste Überzeugung.«
Der Kommissar monologisierte noch eine ganze Weile vor sich hin, doch Alberta hörte ihm nicht mehr richtig zu. Fieberhaft überlegte sie, wie es ihr gelingen mochte, Freda freizusprechen - auch gegen den Widerstand des Gerichts. Dabei war ihr die ganze Zeit die Gefahr bewusst, die von Freda ausging: Wie leicht könnte sie angesichts der Angst und der Schmerzen, die sie im Prozess ertragen musste, Albertas Geheimnis ausplaudern … Die Folgen wären furchtbar und träfen nicht nur Alberta, sondern auch den Pater und ihre gesamte Familie. Seit ihrem ersten Prozess hatte die Gräfin das fanatische Glimmen, das von Zeit zu Zeit in den kalten Augen des Herzogs aufblitzte, fürchten gelernt - wohl wissend, dass es sich eines Tages auch gegen sie richten könnte.
Es gab nur eine Möglichkeit: Freda musste so schnell wie möglich dem Einflussbereich des Herzogs und seiner Schergen entzogen werden.
Was Alberta freilich nicht ahnte, war, dass der Pater, der das Haus unter einem Vorwand verlassen hatte, schweren Herzens einen ganz anderen Weg beschreiten wollte, um seinen Schützling samt Familie vor Unheil zu bewahren …
Nach einer geschlagenen Stunde trennten sich der »Oberste Kommissar« und sein Beisitzer im Streit. Jakob von Beilfried drohte Alberta noch im Hinausgehen, er werde ihr in Zukunft ganz genau auf die Finger schauen, wenn es die angemessene Behandlung dieser Satansmetze Freda betreffe …
KAPITEL 17
17. Oktober 1610, lange vor Tagesanbruch
»SIE WAR IN ihrem tiefsten Innern ein ganz armes und verletzliches Menschenkind, das unseres aufrichtigen, christlichen Mitleids sowie der unendlichen Barmherzigkeit Gottes bedarf.« Der alte Benediktiner seufzte schwer.
»Dieser Satz aus Eurem Mund, Pater, überrascht mich jetzt doch sehr.«
Gräfin Alberta musste sich über ihren langjährigen Berater, Mentor und Beichtvater wundern. Was ging in dem Mönch auf einmal vor? Bisher hatte er über Freda von Hoferichter doch ganz anders geurteilt … Pater Winfried war am vergangenen Abend noch zum Falkenturm gelaufen, um die Angeklagte in ihrer Kerkerzelle aufzusuchen - angeblich, um ihr die Vorteile eines Geständnisses klarzumachen: Sie würde sich damit weitere Torturen ersparen.
Widerstrebend räumte er später sein Vorhaben ein, ihr ein besonderes Versprechen zu geben: Bußfertigen, reuigen Hexen wurde meistens die Gnade zuteil, vor dem Flammentod vom Henker erwürgt zu werden …
Aber zu seinem Entsetzen fanden er und der Kerkermeister Hans Bürgler die Beschuldigte tot am Fenstergitter hängend vor. Freda
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