Die Hexenadvokatin
abweichende Meinung unberücksichtigt lässt«, dachte der Graf und runzelte grimmig die Brauen. »Weyers Ansichten passen nicht zur allgemeinen Lesart; Leute, die erfolgreiche Verwaltungsjuristen werden wollen, kümmern sich nicht um den gesunden Menschenverstand.«
Was Zauberei anbetraf, wurde seit langer Zeit mit zweierlei Maß gemessen. Kaiser Rudolf II. - den man zwar insgeheim für geisteskrank, aber immerhin für gut katholisch hielt -, umgab sich gern mit Alchemisten, Kabbalisten und Astrologen.
Übten etwa diese gelehrten Herren und gar das Oberhaupt des Heiligen Römischen Reiches Hexerei aus?
Mitnichten! Abt Johann Trithemius, Verfasser des viel beachteten Standardwerks Gegen das Hexengeschmeiß , galt als ein berühmt-berüchtigter Zauberer. Und der hoch angesehene italienische Schwarzkünstler Dottore Lucas Gauricus hatte es immerhin zum Bischof gebracht. Und amüsierte sich nicht alle Welt über die Geschichten eines Doktor Johannes Faustus aus Knittlingen, der sich ungestraft mit seinem Satanspakt brüstete?
In keinem dieser Fälle erhob auch nur ein Mensch den Vorwurf der Hexerei. Der Grund dafür war ganz einfach: Diese Magier waren zwar Zauberer, aber keine Ketzer. Nekromanten wie Lucas Gauricus, ein persönlicher Freund Seiner Heiligkeit, Papst Paul III., trieben angeblich ihre Spielchen mit den Dämonen. Es kam darauf an, ob man jemandem zutraute, stärker als der Teufel zu sein.
Was für Studenten als Ulk durchgehen mochte, roch bei einer Bauernmagd jedoch nach frevelhafter Untat. Die Frage lautete: Wer machte sich wen untertan? Der Teufel sich den Menschen oder der Mensch sich den Teufel? Wenn das Spiel zum Abfall von Gott, Kirche und Religion führte, war der Teufelspakt ketzerisch und nur dann sprach man von Hexerei.
Kurz gesagt: Die Zauberei war keine Kunst für das gemeine Volk.
»Soviel ich weiß, hat Martin Luther das ein bisschen anders gesehen«, dachte der alte Graf. Von dem Kirchenreformer stammte schließlich der Satz: »Wer den Teufel zu Gast ladet, der wird ihn nicht los!« Und damit hatte er sicher auch die gebildete Schicht gemeint …
Wolfgang Friedrich seufzte abgrundtief. Er musste sich
möglichst schnell etwas einfallen lassen, womit er die Ficklers, den Alten wie den Jungen, für alle Zeiten mundtot machen konnte, ehe sie unheilbaren Schaden anrichteten.
KAPITEL 32
16. September 1611, beim Herzog
»SCHÖN, DASS IHR Euch auch wieder einmal sehen lasst an meinem Hof, Graf.«
Die Begrüßung Wolfgang Friedrichs durch den Herzog fiel reichlich frostig aus. Nichts war mit »Vetter« und mit »mein Lieber«. Der Graf beschloss, so zu tun, als bemerke er Maximilians Unwillen überhaupt nicht. Den erwarteten Kniefall deutete er zwar nur an, indem er umgehend schmerzende Gelenke vorschob, dafür strahlte er den finster und unnahbar aussehenden Landesherrn an, als freue er sich unbändig, ihn wiederzusehen.
»Der Herzog sieht heute wieder mehr denn je aus wie der ehemalige spanische König Philipp II.«, dachte der Graf unbehaglich; untertänigst richtete er zugleich Grüße seiner Gemahlin aus und überfiel den Herzog beinahe mit einem Schwall von Komplimenten über dessen hervorragendes und majestätisches Aussehen.
Der Wittelsbacher, von klein auf eitel, ließ sich tatsächlich ablenken. Mit dünnem Lächeln erkundigte er sich: »Ach, wirklich? Ihr findet, dass ich gut aussehe?«
»Sonst würde ich es nicht sagen, Vetter! Darf ich daraus schließen, dass Euer Gnaden sich bester Gesundheit erfreuen?«
»Durchaus, durchaus, mein Lieber. Ich hoffe, bei Euch verhält es sich ebenso. Und die verehrte Frau Gräfin? Wie steht es um ihr Wohlbefinden? Weshalb gönnt mir Eure Gemahlin nicht die Freude ihrer Anwesenheit?«
»Eleonora lässt sich entschuldigen. Sie hat jetzt eine Menge zu tun.«
»Ach? Was denn, wenn Ihr mir die Frage erlauben wollt?«
»Nun, die Vorbereitungen für die Hochzeit unserer Tochter Auguste Friederike, die im Herbst stattfinden soll.«
»Ach ja, ich und die Herzogin haben davon gehört. Der Bräutigam ist Italiener, wie wir erfahren haben?«
»Es handelt sich um den Neffen meiner Gemahlin, Euer Gnaden. Wegen der nahen Verwandtschaft haben wir um Dispens beim Heiligen Vater gebeten. Ich denke nicht, dass der Papst seine Zustimmung verweigern wird.«
»Wenn Ihr genügend springen lasst, Vetter, gewiss nicht.«
Der Herzog verzog tatsächlich sein Gesicht zu einem schiefen Lächeln und der Graf beeilte sich, ein herzliches Gelächter
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