Die Hexengabe: Roman (German Edition)
und lächelte. »Ich glaube, du weißt längst alles, was du wissen musst.«
Dann fügte er mit heiserer Stimme, beinahe widerwillig hinzu: »Gott beschütze dich.«
Rosa konnte seinem merkwürdigen Blick nicht länger standhalten und sah zu ihrem Zuhause hinter dem Brunnen auf der anderen Seite.
»Wir sind da«, stellte sie erleichtert fest.
Er betrachtete das Haus, schnalzte anerkennend mit der Zunge, öffnete die Tür, trug sie hinein und setzte sie vorsichtig auf der Bank in der Küche ab.
»Rosa, was ist hier los?«
»Eure Tochter ist verletzt, deshalb habe ich mir erlaubt, sie nach Hause zu tragen. Ich hoffe sehr, dass Euch das recht war.«
»Wie können wir uns erkenntlich zeigen?«, fragte ihre Mutter den Priester ohne eine Begrüßung in einem sehr hochnäsigen Ton, und die Blicke, die sie Rosa zuwarf, waren voll kochender Empörung.
Sie hat recht, dachte Rosa, das Ganze war ganz und gar unmöglich.
»Gar nicht, danke, ich bin ein Diener Gottes.«
Rosas Finger begann wieder zu pochen und sich abzukühlen.
»Einen Imbiss vielleicht?«, fragte Toni, die gerade einen Wäschekorb hereinschleppte.
Ihre Mutter warf Toni einen missbilligenden Blick zu, was sowohl Rosa als auch der Priester bemerkten.
»Nein, aber habt vielen Dank«, wehrte er daher auch sofort ab. »Ich werde mich auf den Weg machen zu meinem Quartier in der Deutsch-Kommende.«
»Wir danken Euch«, brummelte die Mutter.
Der Priester drehte sich zu Rosa um. »Passt auf Euch auf, und denkt an das, was ich Euch über die beiden gesagt habe.« Mit diesen Worten schlenderte er davon, ohne sich noch einmal zu Rosa umzudrehen.
»Also, was in Gottes Namen bringt meine Tochter dazu, sich von einem Katholischen nach Hause tragen zu lassen?«
Rosa deutete auf ihren Fuß. »Ich bin gestürzt.«
»Haben sie dich bei Baldessarini rausgeworfen? Hab ich’s dir nicht gleich gesagt? Was kann man erwarten von einem Mann, der ein elender Kaufmann ist? Die leben doch davon, dass andere sich die Hände schmutzig machen. Streck dein Bein aus!«
Die Mutter betastete den Knöchel viel weniger sanft, als es der Priester getan hatte, und drehte den Fuß hin und her, was Rosa zusammenzucken ließ. Sie biss sich auf die Lippen.
»Toni, setz Wasser für einen Tee auf.« Die Mutter ging zu ihrem Apothekerschrank hinüber, suchte nach dem Messlöffel.
»Und auf deinen Knöchel geben wir Stellaria media.« Die Mutter hatte den Löffel gefunden und kramte weiter in dem alten Apothekerschrank, den sie zur Hochzeit von ihren Eltern bekommen hatte und den niemand je anrühren durfte. Nicht einmal der Vater hatte gewagt daranzugehen. Natürlich hatte der Schrank, der auf gestauchten Holzkugelfüßen stand und über zahlreiche Schübe verfügte, eine große Anziehungskraft auf Rosa und ihre Schwestern ausgeübt. Vor allem die Intarsienarbeiten aus Elfenbein und rotem Holz und die bemalten Vordertüren hatten es ihnen angetan. Man konnte einen Klostergarten erkennen und zahlreiche Nonnen, außerdem eine Waage und einen Mörser sowie einen Brunnen und Krankenbetten. Dorothea hatte sich über diesen Klostergarten die abenteuerlichsten Geschichten für Rosa ausgedacht.
Rosa beobachtete ihre Mutter dabei, wie sie kritisch an den getrockneten Ringelblumenblüten schnüffelte, sie dann in den Mörser gab, etwas zerkleinerte und dann mit dem kochenden Wasser zu einem Tee übergoss und dann die Vogelmierensalbe anrührte. Jedes Mal, wenn ihre Mutter sich mit dem Apothekerschrank und seinem Inhalt beschäftigte, wirkte sie auf einmal glücklich, ganz anders als sonst.
Rosa fragte sich, wie schon so oft, warum ihre Mutter den Kartenmacher Zapf geheiratet hatte statt eines Apothekers. Rosa hatte ihre Großeltern nie kennengelernt, weil die beiden bald nach ihrer Geburt gestorben waren, aus Gram, so wurde im Viertel geflüstert. Gram, weil Gott sie doppelt bestraft hatte, denn zuerst wurde Rosa mit dem Hexenfinger geboren, dann brannte eines Nachts die Apotheke ab.
Toni reichte ihr den Tee, und ihre Mutter bestrich den Knöchel mit der kühlenden Paste. Als diese vor ihr kniete, hätte sich Rosa gern nach vorne gebeugt und ihren Kopf an den ihren geschmiegt, aber sie wusste, die Geste würde nicht gut aufgenommen werden, denn ihre Mutter wich jeder Berührung von ihr aus.
Eva und Maria kamen vom Hauptmarkt zurück und bestürmten Rosa zu erzählen, was genau passiert war. Sie hatten schon von dem Katholischen mit der blonden Frau im Arm gehört und wollten alles ganz genau
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