Die Hexengabe: Roman (German Edition)
vermieden hätte, denn es würde ihn mit Sicherheit beschäftigen.
»Der Karpfen schmeckt modrig. Warum schickt ihr dieses junge Weib nach Indien? Ihr hättet sie mir überlassen sollen.« Er grinste. »Ich hätte ihr leicht zwei Kinder gemacht in den zwei Jahren.« Er wischte den Mund und nahm einen großen Schluck Bier aus dem Humpen, den Karl bereitgestellt hatte.
»Vater, bitte!«
»Das war ein Scherz, Sohn. Du solltest dir einen Funken Humor zulegen, sonst wirst du eines Tages noch gar zu unerträglich. Mir ist klar, dass es einen leiblichen Erben braucht und keinen Bastard. Doch es scheint mir, dass der Rat der Stadt sie so in den sicheren Tod schickt.«
Er hatte recht, zwei Jahre, um nach Indien zu fahren und den Neffen zu holen – auch mein reiseerfahrener Freund Wurffbain hielt das für vollkommen unmöglich. Und für den Fall, dass es ein Wunder geben sollte, hatte ich vorgesorgt.
»Ich verstehe auch nicht, warum die arme Frau nicht einfach weitermachen durfte, so wie die anderen Witwen in unserer Stadt. Wir können stolz darauf sein, dass wir Nürnberger uns um unsere Witwen und Waisen kümmern. Dieser Karpfen ist ungenießbar.« Trotzdem schob er sich noch einen Bissen in den Mund.
Ich spürte, wie mir der Schweiß ausbrach. Wie konnte ich ihm unsere Entscheidung erklären?
»Vater, wir reden von der Zapfin, geborene Ursula Dorothea Huttenbeck, die Tochter des Apothekers Huttenbeck, der die ›Goldene Kanne‹ gehabt hat.«
Mein Vater lief blau an. »Der verdammte Karpfen«, keuchte er. Ich sprang auf, ging um den Tisch und klopfte ihm auf den Rücken.
»Lass das!« Er keuchte immer noch, atmete aber wieder ruhiger. »Ich muss mich hinlegen, mir ist übel.« Er stand auf und schritt zur Tür.
Das ist gut, dann brauche ich dazu nichts mehr zu sagen, dachte ich, doch er blieb am Türrahmen stehen, lehnte sich schnaufend an und fragte dann: »Und wie heißt die Tochter, die ihr nach Indien geschickt habt?«
»Rosa Sibylla.«
»So.« Er drehte sich wieder um und schlurfte davon, viel weniger rüstig als gerade eben noch. Vielleicht wurde er nun doch langsam wunderlich.
7. Kapitel
R osa starrte auf den Kalender, den sie sich aus der Werkstatt des Vaters geholt hatte, und ihr Herz krampfte sich zusammen. Es waren schon zwei Wochen vergangen, seit sie mit ihrer Mutter beim Rat gewesen war.
Zwei kostbare Wochen, in denen sie und ihre Mutter beinahe täglich im Pellerhaus vorgesprochen hatten, um mit Baldessarini zu reden, aber sie wurden nicht einmal eingelassen. Es hieß, er sei auf die Leipziger Messe gereist, würde aber in Bälde zurückerwartet.
In Bälde! Wann das wohl sein würde?
Rosa hatte ständig einen Druck auf der Brust und Kribbeln in den Beinen, sie wollte aufbrechen. Sie musste endlich weg von Nürnberg. Sie hatte sich vorgenommen, sich eben allein auf den Weg zu machen, wenn der Kaufmann nicht bis zum Ende der Woche zurück sein würde. Sie hielt es nicht mehr aus, dass Toni und ihre Mutter bei jedem Besuch auf dem Markt hämisch gefragt wurden, ob Rosa denn schon in Indien sei. Und wenn die beiden das verneinten, dann schüttelten sich die Marktweiber vor lauter Lachen.
Rosa hasste sie alle, die nichts davon wussten, wie es war, mit einem Hexenfinger geboren zu werden, wie es war, ausgestoßen zu sein.
Und heute Morgen war zu allem Überfluss der elende Löffelholtz schon wieder da gewesen und hatte die lächerliche Summe von dreißig Silbertalern für die Werkstatt des Vaters geboten. Die Mutter hatte ihn hinausgeworfen und ihm verboten, in den nächsten zwei Jahren jemals wieder den Fuß über ihre Schwelle zu setzen.
Immer wieder war Rosa in den letzten Tagen mit ihren Fingern auf der Landkarte an Afrika entlang bis nach Indien gefahren. Es war ein so weiter Weg, und sie saß hier und hatte keine Vorstellung davon, wie sie am schnellsten nach Amsterdam oder Venedig kommen sollte. Vierzehn Tage von siebenhundertdreißig Tagen waren schon in der Hitze dieses schrecklichen Sommers dahingeschmolzen.
Immerhin hatte sie trotz des noch leicht geschwollenen Knöchels die letzten Aufträge, die ihr Vater vor seinem Tod angenommen hatte, ausgeführt und weitere Druckstöcke vorbereitet. Es waren zwei Quartette mit Wissensfragen zur Nürnberger Geschichte und zwei Spielkartensets mit Vögeln und Pflanzen, die sie in Anlehnung an die Radierungen von Sibylla Merian angefertigt hatte.
Rosa packte die Quartette in dickes Papier, um sie später, wenn die Sonne etwas weniger heiß
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