Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hexengabe: Roman (German Edition)

Die Hexengabe: Roman (German Edition)

Titel: Die Hexengabe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Mannel
Vom Netzwerk:
andere Sicht der Dinge. Aber ich glaube, es ist gut, wenn man bestimmte Gesetze einhält, auch wenn gerade kein Büttel oder Priester in der Nähe ist, um das zu überprüfen.«
    »Gut gesprochen!« Giacomo schnalzte anerkennend mit der Zunge.
    »Unsinn.« Baldessarini blieb gelassen, aber seine Stimme klang hart. »Man sollte immer das tun, was der Moment erfordert, und sich keineswegs von moralischen Zwängen an dem hindern lassen, was man begehrt.«
    »Dann hat Caterina dich also ganz richtig eingeschätzt, wie mir scheint.« Giacomo blieb ungewohnt ernst.
    Baldessarini preschte wortlos davon.
    Giacomo hatte die Zähne fest zusammengebissen, als wollte er verhindern, dass ihm etwas Unpassendes entschlüpfte.
    Die Pferde hatten ihren Schritt verlangsamt, weil der Weg steil bergab ging und steiniger geworden war.
    »Porca Madonna, cazzo, che palle, puttana vecchia«, ließ sich Giacomo dann doch vernehmen, und Rosa fand, dass dieser Fluch eigentlich wie Musik klang.
    »Grundgütiger!«, rief sie dann aus, als ihr Wagen heftig ins Rutschen kam und sie beinahe heruntergefallen wäre.
    »Porca miseria!«, kam es von Giacomo, der ihre Bemühungen mit einem Grinsen verfolgte. »Ich glaube, ich sollte dich nicht länger ablenken, dieser Weg erfordert unser aller Aufmerksamkeit. Immerhin ist es kühl hier, nicht?«
    »Hmm.« Das war aber auch das einzig Angenehme an diesem Pfad, dachte Rosa. Es gab nur vereinzelt zähes Gras, das einen Weg durch die schroffen Felsen gefunden hatte, und die Tannen ragten schwarz und spitz in den Himmel, von Weitem erinnerten sie Rosa an abgebrannte Scheunen.
    »Gleich erreichen wir einen guten Platz. Ein Plateau. Dort werden Giuseppe und ich für unser Abendessen sorgen.« Giacomo zeigte auf seine Flinte, die wie immer über seiner Schulter hing. »Früher gab es hier ein Gasthaus, aber seit die Wirtsleute bei einem Überfall ermordet worden sind, behaupten die Leute im Tal, dass es dort spukt, und deshalb will es keiner mehr übernehmen. Wir lagern dort über Nacht – du kannst dann mit den anderen Brennholz für ein großes Feuer sammeln.«
    Er quetschte sich mit seinem Pferd an dem Wagen vorbei und galoppierte zügig weiter nach vorne. Rosa blickte ihm nach und fragte sich, wie er dieses Tempo bei dem schmalen Weg halten konnte, ohne abzustürzen.
    Plötzlich fiel ein Schatten auf Giacomo. Sie blickte nach oben und erkannte einen Vogel mit breiten Schwingen, der völlig unbewegt in der Luft schwebte. Ein Adler! Ein Adler bedeutete Glück, das wusste sie von ihrem Vater. Als sie das Kartenspiel mit den Vögeln gedruckt hatten, hatte er ihr von dem Sieg verheißenden Zeichen erzählt, das sein Urgroßvater mit vielen anderen vor über hundert Jahren, am dreißigsten Oktober 1593, in Zittau gesehen hatte: einen riesigen zweiköpfigen Adler am Himmel, auf den man mit glühenden Pfeilen schoss, ohne dass er verletzt wurde. Einen Monat später war dann die Nachricht vom Sieg Kaiser Rudolfs II. über die Türken gekommen.
    Toni, die gehört hatte, wie der Vater ihr diese Geschichte erzählte, hatte dann gemeint, es gäbe keine zweiköpfigen Adler, die seien nur trunksüchtigen Männerhirnen entsprungen. Richtig sei vielmehr, dass der Adler Glück bringe, nur dann nicht, wenn er von links geflogen käme.
    Rosa sah wieder zum Himmel. Der Adler zog Kreise vor einem sich schon leicht rosa verfärbenden Himmel. Was Toni wohl dazu sagen würde? Sie seufzte.
    Endlich erreichten sie den Rast- und Lagerplatz für die Nacht. Schon von Weitem hatte Rosa das eingestürzte Haus erkennen können, weil es sich schwarz verrußt vom Berg abhob.
    Dahinter verbreiterte sich der Weg unvermutet, als ob ein Riese den Felsen platt gedrückt hätte, und von hier hatte man einen großartigen Ausblick auf das gesamte Tal. Rosa stieg vom Wagen ab und ignorierte das Zittern in ihren Beinen, das mit jedem Tag der Reise weniger wurde. Dann tätschelte sie zärtlich die beiden Pferde. Es war ihre Aufgabe, die beiden am Abend mit Stroh abzureiben und mit ausreichend Hafer und Wasser zu versorgen.
    Schüsse knallten. Rosa hoffte, dass Giacomo und Baldessarini erfolgreich wären, denn bei der Aussicht auf ein Stück am Spieß gebratenes Fleisch lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Der Proviant, den sie von zu Hause mitgenommen hatte, war zwar gut haltbar, aber auch sehr eintönig: getrocknetes Fladenbrot, gepökelter Fisch und gedörrtes Obst, eine Spezialität von Toni. In den Wirtshäusern hatte sie das abends immer noch um

Weitere Kostenlose Bücher