Die Hexengraefin
großen Sorgen, die er sich um seine Tochter Adelheid macht und neuerdings auch um seinen Sohn und Erben, der auszog, um ein Held zu werden. Auffallen wolle Hasso dem Kaiser als besonnener und tapferer Kämpfer.
Seine junge und recht hübsche, aber sehr verwöhnte und verweichlichte Schwiegertochter habe der alte Graf zu ihrem Vater, dem Herzog von Württemberg, zurückgeschickt, da er es nicht ertragen konnte, ihr ständiges Geflenne mit anzusehen.
Solange sein Sohn nicht auf dem Schloss war, solle sie sich lieber in ihrer gewohnten Umgebung verhätscheln und trösten lassen …
Graf Ferfried ziehe es vor, allein mit Pater Ambrosius und dem Schlossvogt Anselm von Waldnau zu hausen – und mit Frau Salome Bürgi natürlich …«
Zum Schluss teilte der Benediktiner noch mit, dass auf Schloss Ruhfeld nicht weniger als vier höhere Offiziere des schwedischen Königs mitsamt ihren Adjutanten und dem jeweiligen Tross Quartier genommen hätten. »Aber sie führen sich anständig auf und sind sehr fromme Männer, die jeden Tag mehrmals beten und um alles sehr höflich bitten.«
»Gott sei Dank!«, riefen Anne und Hélène gleichzeitig aus. Die Gräfin aber sagte gar nichts, sie musste in Ruhe nachdenken. Womöglich ergab sich doch bald eine Situation, welche es ihr erlaubte, die Heimreise anzutreten …
›Vielleicht könnte es unter dem Schutz der Schweden möglich sein, die ja Gegner von Hexenprozessen sind, sich daheim sehen zu lassen? Weder Maximilian Veigt noch der Oberste Richter Munzinger hätten gegen die Besatzer eine Chance, gegen mich und mein Helen etwas zu unternehmen‹, dachte Adelheid.
Aber wie sollte sie reisen können, wenn die Mutter Oberin ihr nicht einmal einen Spaziergang in der nächsten Umgebung gestatten wollte?
KAPITEL 70
»DAS VERBOT DER SCHWESTER Apothekerin schert mich nicht. Bis vor Kurzem war sie froh, unsere Hilfe zu haben, und wo wäre sie neulich geblieben, als die Rachenbräune in der Stadt umging?«, rief Hélène wütend aus.
Das entsprach der Wahrheit. Zu Tausenden waren die Bewohner Auxerres an Diphterie erkrankt, und jedes Bett im Krankensaal des Klosters war mit bis zu vier Patienten belegt gewesen. Da hatten die Schwestern jede helfende Hand willkommen geheißen und jetzt taten sie, als verstünden die Comtesse und ihre Begleiterinnen nichts von Krankenpflege und Heilkunst.
»Ich bin ebenso verärgert wie du darüber, dass man uns von allen Arbeiten aussperrt, aber die Ehrwürdige Mutter hat angeordnet, dass wir uns im Kräutergarten, der Apotheke und im Krankenbau des Klosters nicht mehr sehen lassen dürfen«, entgegnete Adelaide.
»Das soll mir die Oberin gefälligst selber sagen!«, erwiderte Hélène de Morrisson trotzig. »Zu mir hat sie darüber kein Wort verloren. Und wenn, dann würde ich eine genaue Auskunft verlangen, warum sie uns die Arbeit, die reiner Nächstenliebe dient, verwehren will. Ich jedenfalls gehe jetzt in den Klostergarten und zwar dorthin, wo die Heilpflanzen wachsen. Und dann werde ich ja erleben, ob es jemand wagt, mich zu vertreiben.«
»So energisch kenne ich dich ja überhaupt nicht, ma Chère. Du willst dich tatsächlich mit den Nonnen anlegen?«
»Wenn es denn sein müsste. Immerhin ist an mir ein ›miracle‹ geschehen, n’est-ce pas? Schon vergessen? Wenn nötig, werde ich das schamlos ausnützen, und dann wollen wir mal sehen, ob wir uns in diesem Kloster nicht den uns gebührenden Respekt verschaffen können.«
Adelaide musste so lachen, dass sie einen Hustenanfall bekam und gegen den Erstickungstod ankämpfte. Das waren ja ganz neue Töne bei ihrem Helen. Die junge Frau hatte sich völlig verändert.
Die Gräfin vermutete ganz richtig, es hinge mit den schlimmen Erlebnissen des Mädchens zusammen, deren Verarbeitung und allmähliche Überwindung diesen Wandel im früher so sanften Charakter der »Hexe« hervorriefen. Sie wirkte resolut und weit über ihre Jahre hinaus gereift; auf alle Fälle war sie jemand, der sich in seiner Haut zu wehren wusste und nicht so ohne Weiteres klein beigab.
»Versuche es ruhig, ma Chère. Ich bin nur gespannt, ob man dich aus dem Klostergarten verjagen wird.«
»Das soll nur eine wagen. Dann schreie ich das ganze Kloster zusammen. Glaub mir, Theaterspielen wie die Äbtissin – das kann ich schon lange.«
Die Comtesse freute sich über den Mut ihrer Schwester. Außerdem wuchsen auf den Beeten des Apothekergartens die wunderbarsten Heilpflanzen, und die beiden hatten sich vorgenommen gehabt,
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