Die Hexengraefin
Tabu zu brechen – oder zu verhungern.
Je länger der Krieg dauert, desto mehr verrohen die Sitten. »Der Krieg ernährt den Krieg«, heißt es, und das bedeutet, dass sich jeder Söldner sein Essen selbst beschaffen und dieses der ohnehin bloß noch am Rande des Hungertodes dahin vegetierenden Bevölkerung gewaltsam wegnehmen muss.
Wenn die Soldaten jemanden verdächtigen, irgendwelche Besitztümer zu verbergen, hat er Entsetzliches auszustehen; alle Arten von Foltern werden angewendet: Der Schwedentrunk ist nur eine davon und dieses gewaltsame Einflößen von Jauche wird beileibe nicht nur von den Schweden praktiziert. Ein anderes trauriges Kapitel ist das Vergewaltigen von Frauen. Selbst Kinder, Greisinnen und Schwangere werden nicht verschont. Viele sterben durch die Misshandlungen. Für die betroffenen Männer und Väter dieser armen Geschöpfe ist es eine unglaubliche Demütigung, beim Schutz ihrer Familien so zu versagen.«
Als Adelaide das Schreiben ihrer Zofe vorlas, kam auch Hélène dazu, und sie wollte zuerst nicht weiterlesen, aus Furcht, das Geschriebene könnte der erst kürzlich aus ihrer Erstarrung Erwachten ein neues, schweres Trauma zufügen.
»Lies ruhig weiter«, sagte Hélène jedoch. »Ich weiß alles über menschliche Gemeinheit und Brutalität, glaube mir.«
Als Nächstes hatte Vater Ambrosius über die Dorfleute von Reschenbach berichtet: »Auch der hochwürdige Herr Pfarrer Ingo Hasenauer und seine Wirtschafterin Martha Schnewlin haben schwedische Soldaten bei sich aufnehmen müssen. Der katholische Geistliche wehrte sich zuerst, weil er es als Ungehörigkeit empfand, Lutheranern Kost und Logis geben zu müssen. Der dumme Mensch machte einigen Wirbel, ehe er einsah, dass sich für seine Meinung keiner der Eroberer interessierte. Insgesamt sechs Schweden setzte man in seinen Pfarrhof. Unklugerweise hatten er und seine ebenfalls nicht sehr gescheite Köchin Martha sich gegenüber dem Hannes Leiblein in äußerst despektierlicher Weise über die schwedischen Besatzer geäußert. Als die Männer eingetroffen waren, glaubte daher der blöde Hannes, sich ihnen gegenüber Frechheiten herausnehmen zu dürfen. Er tat dies, indem er seine Hosen herunterzog, den Ankömmlingen den blanken Hintern zeigte, ihnen dabei entgegenfurzte und allerlei obszönes Geschwätz von sich gab.
Die Reaktion der schwedischen Söldner war furchtbar. Aus Rache für die Beleidigung nahmen sie sich den Idioten vor und der Pfarrer und Hannes’ Tante wurden gezwungen, dabei zuzusehen. Alle sechs taten dem Hannes mehrfach Gewalt an, indem sie ihn wie ein Weib gebrauchten, und als sie nach Stunden der schlimmsten Quälereien und Erniedrigungen dazu keine Lust mehr hatten, gingen sie dazu über, ihn mit den Ladestöcken ihrer Musketen zu penetrieren …
Das Geheul des Hannes soll man im gesamten Dorf gehört haben. Dann hatte der Unglücksrabe aber noch Glück, weil endlich zwei schwedische Offiziere im Pfarrhof eintrafen, die durch die entsetzlichen Schmerzensschreie herbeigelockt worden waren. Denen hat es der Leiblein zu verdanken, dass man ihm nicht noch Hoden und Penis abgeschnitten hat, wie drei der Kerle es vorgehabt hatten.
Das blieb der einzige gewalttätige Übergriff in unserer Gegend, weil sonst niemand von der Landbevölkerung so töricht war, dem haushoch überlegenen Feind Widerstand zu leisten. Aber weil niemand weiß, wie sich diejenigen verhalten, die den jetzigen Besatzern nachfolgen werden, suchen alle nach Möglichkeiten, sich zu schützen. Aber es gibt bloß kleine Verstecke in schwer zugänglichen Waldschluchten, in Höhlen, Sumpfgebieten und dichten Wäldern oder in Ruinen, in die sich die Bauern mit ihrem restlichen Vieh zurückziehen können.
Ich habe schon davon gehört, dass sich in anderen Gegenden Deutschlands die Bauern in unterirdischen Gängen und Gewölben verstecken, tief unter der Erde; aber ich denke, da werden sie bald keine Luft zum Atmen mehr bekommen. Besser dünkt mir da das Anpflanzen von dichtem Dornengestrüpp, das die schützenden Höhleneingänge verbergen kann.«
»Mein Gott. Das hört sich ja furchtbar an!«, rief Anne erschrocken und verstört aus. »Wir können froh sein, dass wir hier im Kloster sind – trotz aller Schikanen.«
Das alles klang so niederschmetternd, dass sich die Comtesse erst nach einiger Zeit bereitfand, weiterzulesen.
Doch das Folgende war nicht mehr aufregend. Dass es dem Grafen Ferfried gut ging, schrieb sein Beichtvater, »bis auf die
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