Die Hexengraefin
an den grässlichen Ort geleitete, wo alle drei auf extra für illustre Zuschauer aufgestellten Klappstühlen Platz nehmen mussten.
Der Comte hatte vorsichtshalber das Gerücht ausstreuen lassen, die Damen trauerten um eine nahe Verwandte in der Schweiz, welche vor Kurzem in die Ewigkeit eingegangen wäre …
Zu Adelaides Entsetzen befanden sie sich in einer Sitzreihe mit der Ehrwürdigen Mutter, Madame Angélique des Anges, sowie dem allmächtigen Kardinal de Richelieu.
Als sie sich vorsichtig umschaute, wäre sie am liebsten davongelaufen: Der Chevalier Louis de Grenelles saß schräg hinter ihr in der zweiten Sitzreihe – neben sich seine ahnungslose Gattin – und heftete den Blick seiner leicht vortretenden Augen auf die verschleierte Dame.
Zum Glück ist der Stoff meines Gesichtsschleiers ziemlich dicht; der Kerl wird mich kaum erkennen können, dachte die Comtesse und richtete ihren Blick sofort nach vorne. Neben einer großen Anzahl von hoher und niedriger Geistlichkeit und zahlreichen Mönchen und Nonnen aus verschiedenen Klöstern der Umgebung, die alle auf Stühlen sitzen durften, hatte sich eine Unmenge von »niederem Volk« eingefunden, für die das bevorstehende Grauen aber nur mehr oder weniger eine kostenlose Volksbelustigung zu bedeuten schien.
Die Leute saßen im verdorrten Gras, lachten und schwatzten, verzehrten mitgebrachte Speisen, tranken Wein aus Lederschläuchen und schlossen Wetten darüber ab, nach wie vielen Minuten des »Röstens« die Hexe zu schreien aufhören werde und in welcher Gestalt der Teufel aus der gleichfalls dem Flammentod geweihten, schwarzen Katze entweichen werde …
Adelaide hörte verschiedene Male, wie der Pöbel den Kardinal hochleben ließ, und es machte sie schaudern; wusste sie doch von ihrem Liebsten, dass vor einigen Wochen noch große Unruhen in Paris geherrscht hatten, der unsinnig hohen Steuern und des schier unerschwinglichen Brotpreises wegen.
Als Hauptschuldigen betrachteten die Pariser Richelieu und seine Politik erbarmungsloser Ausbeutung der Bürger. Deshalb hatte man in der Hauptstadt Scheiterhaufen errichtet, worauf man in Purpurfetzen gekleidete Strohpuppen verbrannte, die den verhassten Ersten Minister darstellten.
»Nieder mit Richelieu! Verbrennt den Teufelskardinal!«, hatte der Mob dabei geschrien und nun, da er dem Volk das Schauspiel einer echten Hexenverbrennung »schenkte«, ließ es ihn hochleben …
Und »echt« würde die Hinrichtung dieses Mal gewiss sein. Da die Hexe nicht geständig gewesen war – der Teufel hatte ihr demnach bis zuletzt beigestanden -, hatte man ihr die Gnade verwehrt, vor dem Flammentod vom Henker erdrosselt zu werden.
Nach dem Rechtsverständnis deutscher Hexenrichter hätte man sie laufen lassen müssen, da das Geständnis einer Hexe der Dreh- und Angelpunkt einer Verurteilung war. Die Zigeunerin würde demnach die gleichen, entsetzlichen Qualen zu erleiden haben wie vor Kurzem der unglückliche Abbé Canfort.
Adelaide schauderte trotz der an diesem Vormittag bereits brütenden Hitze. Wie es aussah, würde auch dieser Tag wie die vierundsiebzig vorausgegangenen ohne einen einzigen Tropfen Regen zu Ende gehen.
Wenn sie den hoch aufgeschichteten Scheiterhaufen, der sich nur in geringer Entfernung von den aufgestellten Stühlen für die vornehmen Zuschauer erhob, betrachtete, graute ihr zusätzlich vor der ungeheuren Glut, welche dessen Flammen abstrahlen würden.
›Hoffentlich ist alles bald vorbei‹, dachte sie verzweifelt, ›ohne dass ich ohnmächtig werde oder mich sonst irgendwie auffällig benehme.‹
Mit ihrem Liebsten Bernard war ausgemacht, dass sie so gut wie nicht sprechen würde; wenn es unbedingt nötig war, würde sie nur flüstern, da sowohl Jean-Armand de Plessis, Herzog de Richelieu, wie die Äbtissin von Sainte Cathérine – vom Chevalier de Grenelles ganz zu schweigen – ihre Stimme erkennen würden.
Auf der zwei Tage sich hinziehenden Kutschfahrt zu dem traurigen Schauspiel hatte Adelaide sich mit dem Comte über den Kardinal unterhalten.
»Ich habe Richelieu als charmanten und intelligenten Mann kennengelernt, der mir nicht den Eindruck machte, ein Anhänger finstersten Aberglaubens zu sein. Im Gegenteil, ich glaube mich erinnern zu können, dass er sich sogar lustig machte über jene, die in der Tat annehmen, Frauen könnten mit dem Teufel in Gestalt eines Tieres geschlechtlichen Umgang haben, auf einem Besenstiel durch die Luft zu ihm auf einen Berg reiten und dort großes
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