Die Hexenjagd von Salem Falls
Tisch.
Drei Packungen versperrten ihm die Sicht. Er schob die Müslipackung beiseite, und als er die zweite mit Zimtbits bewegte, hörte seine Tochter auf zu kauen.
Schließlich rückte er die Cornflakes aus dem Weg, so daß er Gillian ungehindert sehen konnte. »Gilly«, sagte er sanft, legte eine ganze Geschichte in dieses eine Wort.
Gillian griff nach der Zimtbitsverpackung und baute sie wieder auf, eine Wand. Sie nahm den Cornflakes- und den Müslikarton und errichtete Barrieren auf beiden Seiten der ersten Packung. Dann hob sie den Löffel und aß schweigend weiter, als wäre ihr Vater gar nicht da.
» Sydney! « brüllte Matt aus vollem Hals. Er hielt seine kreischende Tochter auf Armeslänge von sich weg, während sie ihm mit aller Kraft den Keks geben wollte, den sie matschig gekaut hatte.
»Wo brennt’s denn?«
»Hier brennt’s«, sagte Matt und schob ihr das Baby unter den freien Arm. »Und zwar lichterloh. Ich will mich von ihr nicht bekleckern lassen. Ich muß ins Gericht.«
Sydney hauchte einen Kuß auf Mollys Kopf. »Sie will dir doch nur ihren Talisman geben, nicht wahr, Schätzchen?«
»Ich will ihren Keks nicht, verdammt.«
Seine Frau zuckte die Achseln. »Na, da wird aber jemand ein schlechtes Gewissen haben, wenn die Geschworenen ihren Freispruch verkünden.«
Matt nahm seine Unterlagen und stopfte sie in die Aktentasche. »Ich glaub nun mal nicht an diesen Hokuspokus.« Er gab Sydney einen Abschiedskuß und strich seiner Tochter über den weichen Flaum auf dem Kopf.
Sydney folgte ihm zur Haustür. »Daddy bringt jetzt die bösen Buben hinter Gitter.«
Charlie holte tief Luft und klopfte an die Badezimmertür, die sich gleich darauf öffnete. Dampf waberte in die Diele, und das Gesicht seiner Tochter schwebte in dem Dunst, der nach der Dusche noch im Raum hing. »Was ist?« sagte sie streitlustig. »Willst du eine Leibesvisitation machen?«
Sie riß die Tür weit auf und breitete die Arme aus, wobei das Badehandtuch, das sie sich um den feuchten Körper gewickelt hatte, ein Stück verrutschte. Charlie wußte nicht, was er sagen sollte. Er wußte nicht, wer dieses Mädchen war, denn sie benahm sich nicht mehr wie seine Tochter. Also entschied er sich für das Praktische, das Funktionale, als würde es nicht so weh tun, wenn er gegen die Wand aus Mißtrauen zwischen ihnen prallte, indem er so tat, als wäre sie unsichtbar. »Hast du meine Dienstmarke gesehen?« fragte Charlie.
Meg wandte sich ab. »Hier ist sie nicht.«
Trotzdem warf Charlie einen Blick über ihre Schulter, auf den Rand des Waschbeckens.
»Was soll das, Daddy?« sagte Meg. »Ach ja. Du glaubst mir ja nicht.«
»Meg…« Er glaubte ihr sehr wohl, und das war das Problem. Er mußte sie nur ansehen, und gleich hatte er wieder das Bild vor Augen, wie sie schluchzend in seinem Büro erzählte, daß Jack St. Bride sie unsittlich berührt hatte. Wie gern würde Charlie die Zeit zurückdrehen. Er wünschte sich, Megs Schrank zu durchsuchen, ohne die Thermosflasche zu finden. Er wünschte sich, seine Tochter einsperren zu können, damit ihr nie etwas Schlimmes widerfuhr.
Er hatte Meg nicht auf das Atropin angesprochen. Er konnte kaum ein paar harmlose Worte mit ihr wechseln, geschweige denn ernsthafte, mißtrauische Fragen stellen.
»Aber vielleicht hab ich deine Dienstmarke ja versteckt, Daddy«, sagte Meg mit Tränen in den Augen. »Guck doch mal in meinem Schrank nach.«
Charlie trat einen Schritt vor. »Meg, Schätzchen, hör doch nur, was du da sagst.«
»Wieso? Du tust es ja auch nicht.«
Die Traurigkeit überwältigte sie, und sie stand in ihrem Badetuch vor ihm und weinte so herzzerreißend, daß es Charlie in der Brust weh tat. Er nahm sie in die Arme, wie damals, als sie klein war und fürchtete, unter ihrem Bett hätten sich Monster versteckt. »Es gibt keine Monster«, hatte er gesagt, obwohl er eigentlich hätte sagen sollen: Da sind keine Monster .
Plötzlich versteifte Meg sich in seinen Armen. »Faß mich nicht an«, sagte sie und wich zurück. »Faß mich nicht an!« Sie drängte sich an ihm vorbei und flüchtete in ihr schützendes Zimmer.
Als Charlie durch die offene Badezimmertür schaute, sah er etwas auf dem Boden glänzen. Seine Dienstmarke; sie mußte ihm heruntergefallen sein, als er sich die Hände gewaschen hatte. Charlie ging in die Hocke und hob sie auf, steckte sie sich an die Brust und blickte in den Spiegel. Da war sie, silbern glänzend, an der vorgeschriebenen Stelle befestigt –
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