Die Hexenjagd von Salem Falls
Matt.
»Soviel ich weiß, ist er Staatsanwalt geworden.« Jordan verkniff sich ein Lächeln, als eines von Matts Papieren riß. »Vorsicht. Sonst ruinieren Sie sich noch Ihre Mogelpackung.«
»McAfee, ich könnte den ganzen Prozeß verschlafen und würde trotzdem gewinnen.«
»Schätze, Sie sind schon dabei, denn Sie träumen ganz offensichtlich.« Er griff in seine eigene Aktentasche und holte eine Packung Kleenex hervor, die er dem Staatsanwalt auf den Tisch warf. »Da«, sagte Jordan. »Ein Versöhnungsgeschenk.«
Matt zog ein Taschentuch heraus und wischte seine Unterlagen ab, dann warf er Jordan die Packung zurück. »Bewahren Sie den Rest auf, damit Sie Ihrem Mandanten nach dem Schuldspruch die Tränen trocknen können.«
Eine Seitentür öffnete sich, und Jack wurde in Handschellen von einem Wachmann zu dem Stuhl neben Jordans geführt. Als die Handschellen abgenommen wurden, musterte Jordan seinen Mandanten, der das reinste Nervenbündel war. »Entspannen Sie sich«, sagte er leise.
Jordan wußte, daß das so gut wie unmöglich war. Die Zuschauerreihen waren bis auf den letzten Platz mit Presseleuten und Einwohnern aus Salem Falls besetzt, die gekommen waren, um sich zu überzeugen, daß ihr Städtchen so sauber blieb, wie es immer gewesen war. Amos Duncan, der hinter dem Tisch der Staatsanwaltschaft saß, fixierte Jack mit glühenden Augen, und auch der Rest der gut zweihundert Zuschauer blickte gebannt auf den Angeklagten. Nicht einer von ihnen stand auf Jacks Seite.
»Jordan«, flüsterte Jack mit Panik in der Stimme. »Ich kann es fühlen.«
»Was können Sie fühlen?«
»Wie sehr mich alle hassen.«
Da fiel Jordan ein, daß Jack ja noch nie einen richtigen Prozeß durchlitten hatte. Seine Verurteilung war das Ergebnis einer Absprache zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung gewesen – eine kurze, unangenehme Verhandlung, aber bei weitem nicht so mörderisch wie das, was ihm jetzt bevorstand. Das Rechtssystem klang gut auf dem Papier, aber die Wahrheit war eine andere: Solange Jack neben einem Strafverteidiger saß, war er in den Augen dieser Zuschauer schuldig, bis seine Unschuld bewiesen war.
Die Geschworenen, sechs Männer und sechs Frauen, kamen mit ernster Miene durch eine Seitentür in den Gerichtssaal. Bevor sie Platz nahmen, warfen alle Jack einen forschenden Blick zu. Jack umklammerte mit den Händen seine Knie unter dem Tisch.
»Bitte erheben Sie sich!«
Althea Justice rauschte zu ihrem Platz hinter der Richterbank. Ihre kühlen grauen Augen richteten sich auf die Zuschauerreihen: auf die Kameras, die Reporter mit ihren Handys, die dicht gedrängt sitzenden Bürger von Salem Falls.
»Ladies und Gentlemen«, sagte sie, »wie ich sehe, haben wir heute ein ausverkauftes Haus. Also stellen wir von vornherein eines klar. Bei dem geringsten Anzeichen von ungebührlichem Verhalten« – sie blickte einen Kameramann an – »oder Gefühlsausbrüchen« – sie blickte Amos Duncan an – »werden Sie alle aus meinem Gerichtssaal eskortiert und für die Dauer des Prozesses draußen bleiben. Wenn während der Zeugenvernehmungen auch nur ein Handy losgeht, werde ich persönlich sämtliche elektronischen Geräte in diesem Saal einsammeln und sie draußen vor dem Gebäude auf einem Scheiterhaufen verbrennen. Als letztes möchte ich alle Anwesenden – einschließlich der Anwälte – daran erinnern, daß dies ein Gerichtssaal ist und kein Zirkus.« Sie senkte ihre Lesebrille und spähte über den Rand. »Mr. Houlihan«, sagte sie, »fangen wir an.«
»Am Abend des dreißigsten April 2000 verabschiedete Amos Duncan sich von seiner Tochter und ging joggen. Sie war siebzehn Jahre alt, und obwohl er sie nie gern alleine ließ, wähnte er sie in Salem Falls sicher, einem Städtchen, von dem er glaubte, daß Kinder dort unbeschadet aufwachsen könnten. Amos Duncan hätte sich daher nicht im Traum vorstellen können, in welcher Verfassung er seine Tochter wiedersehen würde: hysterisch schluchzend, die Kleidung zerrissen, Blut an der Bluse, Haut unter den Fingernägeln, Sperma am Oberschenkel. Und daß sie der Polizei erzählen würde, daß sie im Wald außerhalb von Salem Falls, New Hampshire, vergewaltigt worden war.«
Matt schritt langsam auf die Geschworenen zu. »Der Staat wird Ihnen heute Beweise vorlegen, aus denen sich folgendes unzweifelhaft ergibt: Am dreißigsten April 2000 verließ Gillian Duncan um 20 45 Uhr ihr Elternhaus. Sie traf sich mit ihren Freundinnen und ging zu einer
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