Die Hexenköchin: Historischer Roman (German Edition)
bevor sie mit ernstem Ausdruck ein anderes Thema anschnitt: „Damit du nicht länger im Unklaren bleibst, werde ich dir jetzt darlegen, weshalb ich so streng darauf bedacht bin, dass du stets deine Verletzungen bedeckst. Ist dir die Inquisition ein Begriff?“ Auf mein bejahendes Nicken fuhr sie fort: „Dann weißt du, dass deren Hexenjäger ein besonderes Auge auf adrette Jungfern werfen, auf Jungfern wie dich. - Nein, wehre nicht ab, ich spreche darüber ganz nüchtern. Du bist alles in allem eine hübsche Erscheinung, bis eben auf die Narben. Und deshalb bist du doppelt gefährdet. Fanatiker könnten deine Verletzungen für Teufelswerk halten.“
„Aber doch nicht die Schwestern“, wandte ich ein, worauf sie mich korrigierte:
„Auch Nonnen sind Menschen, und Frauen sind schwatzhaft. Wie schnell dringt dann etwas nach draußen, ich weiß, wovon ich rede. Mit dieser Erklärung, Tora, habe ich dir Vertrauen entgegengebracht, denn ich sollte dieses Thema bei dir meiden.“
Da in ihrer Aura einschnürende Angstringe auftauchten, beteuerte ich ihr: „Ich werde darüber schweigen“, und setzte dann scherzend hinzu, „und du weißt, im Schweigen habe ich jahrelange Übung.“
Darüber lachte sie erleichtert: „Dein Humor, Tora“, und ich nutzte ihre Verfassung, um sie anzuregen:
„Tante Anna, wirst du mir jetzt eine einzige Frage über meine Familie beantworten? Bitte! - Leben meine Eltern noch, oder wenigstens ein Elternteil?“
Zu meiner Enttäuschung erwiderte sie nach kurzem Zaudern mit bewegter Stimme: „Bedaure, Liebes, gerade darüber müssen meine Lippen versiegelt bleiben. Doch soviel will ich dir preisgeben, du stammst nicht aus Schwaben, deine Wiege stand in einem nördlicheren Bergland.“
„Wie alt bin ich genau?“
„Du wirst nächstes Jahr, Anfang des Sonnmonds, fünfzehn.“
Für diese Auskünfte strahlte ich sie an, wobei es ungewollt aus mir heraus brach: „Und du bist am Martinstag sechsundvierzig geworden. Du siehst, über andere weiß ich besser Bescheid, als über mich selbst, ist das nicht ein Scherz?“
E in makabrer Scherz, dachte ich mit schalem Geschmack im Mund, als ich wenig später wieder mit mir alleine war.
Mit grauem Kittel, grauer Schürze und weißer Haube stand ich wenige Tage später glücklich im Küchenhaus mit seinen sechs Herden. Zunächst hatte ich bei den zwei Mägden eine Hürde zu überwinden, da sie mich, wie erwartet, in ihrem breiten Schwabendialekt penetrant auszufragen versuchten: „Hoscht Pocke ghabt, wie?“
„Klar“, antwortete statt mir, Olga, „ihr Gsischt is ja übersäät mit Pockenarbe. Isch will net wisse, wie s erscht hinner ihrm Haar aussieht.“
„Schad um disch, Tora, weil, sonscht bischte ä knuschprig Määdle.“
„Was heischt Määdle, wie se sisch ufführt, isse n Frollein, ä Baronesse oder sowas.“
„Stimmt des, Tora?“
Es kostete mich Fantasie, auf derartige Fragen nichts sagende und dennoch zufrieden stellende Antworten zu finden. Da die Ausdrucksweise der Mägde wie auch die der vier Köchinnen nicht gerade zimperlich war, befleißigte ich mich in der Küche eines ähnlichen Tons, worauf sie mich mit der Zeit akzeptierten, ich wurde in ihrem Kreis aufgenommen.
Einzig bei unserer Meisterköchin Gerlinde konnte ich mich geben wie ich war. Nachdem sie mich mehrere Wochen intensiv und, wie mir aufgefallen war, mit zunehmendem Gefallen beobachtet hatte, entschloss sie sich, mich in die Kunst des geheimnisvollen Heilkochens - auch Klosterkochen genannt - einzuführen, das in dieser Küche nur sie beherrschte. Zu Beginn lehrte sie mich die Grundregeln, wie: Stets darauf bedacht sein, Nährwert und Aroma der einzelnen Lebensmittel voll zur Entfaltung zu bringen. Deshalb: Wurzeln mit weicher Bürste vom Blätterstiel in Richtung Auslauf reinigen, damit ihr Saft nicht aus den Poren entweicht. Außerdem, Obst, Salat und Kräuter nur mit den Fingern, allenfalls mit einer Hornschneide zerkleinern, und die Speisen dann ausschließlich mit den jeweils artgerechten Gewürzen verfeinern, was mich noch jahrelanges Lernen und Üben kosten werde. Eins der obersten Gebote aber war, Fleisch und Gemüse vor dem Garen zu blanchieren, womit man ihnen nicht nur oft gesundheitsbedrohliche Schadstoffe entzieht, sondern auch ihren Geschmack veredelt. Um mich von der Notwendigkeit des Blanchierens zu überzeugen, kochte sie vor meinen Augen Waldpilze ab. Mich ekelte der dreckige Abschaum, der sich dabei auf der Wasseroberfläche bildete, ebenso sehr wie
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