Die Hexenköchin: Historischer Roman (German Edition)
den Speiseraum zu betreten, überstieg mein kümmerliches Selbstbewusstsein. Deshalb zog und zupfte ich noch immer an meinen Locken, während sich die ersten Nonnen sicherlich bereits zum Abendbrot einfanden.
Es klopfte an die Tür, und nach meiner Aufforderung trat die Äbtissin ein: „Darf ich stören?“
„Ja. Bitte sehr“, bot ich ihr mit verstockter Miene auf dem neben mir stehenden Hocker Platz an.
Nach einer peinlichen Schweigepause hörte ich sie schüchtern mit ihrem spanischen Zungenschlag sagen: „Ich habe dich heute Nachmittag gekränkt.“
Sie wandte mir fragend ihr Gesicht zu, doch statt einer angemessenen Antwort brachte mein vorschneller Mund Trotz heraus: „Ich werde keinen Schleier mehr tragen!“
„Ah so“, bemerkte sie nur dazu und kam auf ihr Anliegen zurück: „Entschuldige, dass ich unaufrichtig zu dir gewesen bin, ich habe mir gleich drauf Vorwürfe deswegen gemacht.“
Sie sah mich so flehend mit ihren großen dunkelbraunen Augen an, dass ich ihr nicht länger grollen konnte und sie zum Zeichen dafür kurz anlächelte.
Darauf entspannten sich ihre Züge, und nach einigen Augenblicken erklärte sie mir: „Natürlich sind mir deine Herkunft wie auch dein Schicksal bekannt, Tora, doch ich habe aus guten Gründen mein Wort geben müssen, darüber zu schweigen. So Gott will, ist der Tag nicht mehr fern, an dem ich dir zu deiner Heimkehr verhelfen kann. Bis dahin musst du dich gedulden, und ich werde mich bemühen, dir die Zeit hier so angenehm wie möglich zu gestalten.“
Ich nickte nur, worauf sie sich nach meinen Unterrichtsstunden erkundigte.
„Schwer für mich“, gestand ich und schüttete ihr dann mein Herz aus: „Mein Verstand ist zum Lernen nicht geeignet, Tante Anna. Er macht mir sogar Angst, denn ich nehme Dinge wahr, die kein anderer bemerkt. Ich vermute, Ätherenergien und -geschehnisse. Sag, ist das nicht unheimlich?“
„Nein, meine Liebe“, beruhigte sie mich, „nicht unheimlich, allenfalls ungewöhnlich. Du sollst wissen, dass auch andere Menschen über derartige Gaben verfügen, über Gesichte, beispielsweise, über Visionen, Intuitionen oder über prophetische Schau. Auch ich habe von Zeit zu Zeit Gesichte. Manche Menschen gelten ob ihrer übersinnlichen Veranlagung sogar als heilig.“
„Als heilig? Wie tröstlich, und ich habe befürchtet, das sei teuflisch.“
Darüber lächelte sie: „Ganz gewiss nicht. - Aber nun zu einem Vorschlag, der mir schon länger durch den Kopf gegangen ist. Du bist mit deinem reichen Wissen und deinem Tatendrang nicht ausgelastet, weshalb du, anstelle einiger Unterrichtsstunden, einen Aufgabenbereich in unserem Kloster übernehmen solltest. Wie stehst du dazu?“
„Nichts lieber als das“, freute ich mich, hufte jedoch im nächsten Moment zurück: „Wozu aber bin ich fähig, was könnte ich hier schon erbringen?“
„Mach dir darüber Gedanken, und morgen Nachmittag . .“
Die Tür ging auf, und herein schlurfte Magda. „Schwester Magda!“, empörte sich die Äbtissin. „Trittst du immer ohne anzuklopfen bei Tora ein? Tora ist eine Jungfer, der du entsprechend zu begegnen hast. - Und stell dich gerade hin, wenn ich mit dir rede. So, und jetzt trage mir vor, was du von Tora wünschst.“
„Sie ins Refektorium holen.“
Die Äbtissin verbesserte sie streng: „Sie ins Refektorium b i t t e n, ja? Und du, Tora, möchtest du am Abendbrot überhaupt teilnehmen?“
Ich verneinte stumm, worauf sie sich wieder zu Magda wandte: „Wie du siehst, musst du alleine gehen.“
„Ja, aber sie . .“, haspelte Magda gekränkt, gehorchte dann jedoch: „Gewiss, ehrwürdige Mutter.“
Eine unangenehme Szene, selbst die Äbtissin musste tief durchatmen, als Magda hinter sich die Tür geschlossen hatte.
Dann sah sie mich so freundlich an wie zuvor und bat mich, in den Spiegel zu blicken. Ich tat es, worauf sie verständnisvoll meinte: „Bist mit deinem Haar nicht zurechtgekommen, wie? Ich zeige dir eine einfache Lösung. Schau, du kämmst es auf der linken Seite tief und straff in die Stirn und windest dann einen Schapel, den ich dir bringen lasse, rings um den Oberkopf. So werden die darunter rausschauenden Locken alles verdecken, siehst du?“
„Ja, tatsächlich.“
„Und jetzt, meine liebe Tora, muss ich dich alleine lassen, ich erwarte in wenigen Minuten einen hohen Gast.“
K aum hatte die Äbtissin meine Stube verlassen, jagten wild meine Gedanken durch den Kopf, einer verdrängte den anderen: Nie wieder Gesichtsschleier! -
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