Die Hexenköchin: Historischer Roman (German Edition)
deinem Erwachsenwerden gewinnen, verbunden mit Kraft und Festigkeit. Die eigentliche Stärke einer Frau liegt in der Seele, so hat Gott uns geschaffen, und Kraft deiner später einmal ausgeprägten Seelenstärke bist du einst als Frau hervorragend für das Leben gerüstet.“
Sie nickte mir zuversichtlich zu, dann schwieg sie. Jedoch nur äußerlich, denn ich gewahrte mit Ehrfurcht ein sphärisches Leuchten in ihrer Brust, als wolle sie mir demonstrieren, was auch ich in mir verwirklichen könne. Mir rieselte ein sanfter Schauer über den Rücken.
W ie von Palmatia vorhergesagt, erhob die Äbtissin keine Einwände gegen meine Ausbildung zur Heilköchin. Ihre eigentliche Zusage erteilte sie mir allerdings erst einige Wochen später und verfasste dann auch mit Gerlinde einen entsprechenden Ausbildungsvertrag. Hatte sie dazu die Genehmigung meines Vaters einholen müssen? Wie auch immer, seitdem gingen mir die unter Gerlindes kritischer Aufsicht durchgeführten Küchenarbeiten noch freudiger von der Hand.
Abends fesselten mich zwei Schriften, die mir Palmatia aus unserer von Magda geleiteten Bibliothek besorgt hatte. Oh doch, falls ich es noch nicht erwähnt habe, Magda war eine sehr belesene und entsprechend gebildete Frau, auch wenn das selten zutage trat.
Nun, eine der beiden Schriften hatte die vor fünfhundert Jahren verstorbene Äbtissin Hildegard von Bingen verfasst und die andere der ebenfalls verstorbene Arzt und Naturwissenschaftler Paracelsus. Beide Werke behandelten das Heilwesen, oft verbunden mit okkulten Gesetzen und Geschehen. Durch diese Abhandlungen erklärte sich mir so manches, das ich selbst bereits erschaut, doch dessen Bedeutung ich nicht begriffen hatte. So erfuhr ich darin Näheres über den Lebensäther, von dem Wirken der Erdenergien und der kosmischen Strahlen, sowie über die verschiedenen feinstofflichen Substanzen der menschlichen Seele, des Intellekts und des Willens. Damit erschloss sich mir der Pfad zu jener Welt, nach der ich mich bislang vergeblich hinzutasten versucht hatte.
So erfreulich die Fortschritte in meiner Heilkochausbildung, so kläglich versagte ich bei meinen abendlichen Lehrstunden am Spinett. Oft wagte ich kaum, die Tasten anzuschlagen, denn die Klänge lösten mitunter solch beklemmendes Heimweh nach meinem vergessenen Zuhause in mir aus, dass wir die Unterrichtsstunde abbrechen mussten. Doch mein betagter Musiklehrer nahm mir diese Anfälle nie übel, und Magda fand hinterher stets aufbauende Worte für mich, etwa: „Hier, mein Mädel, nimm Gerlindes Heilgetränk zu dir, das verleiht dir soviel Schwung, dass du gleich mit mir tanzen willst.“ Oder: „Und schon kehrt wieder helles, keckes Leben in deine Brust, ich sehe das genau, Tora, brauchst gar nicht dein Lachen zu unterdrücken.“
In solchen Momenten liebte ich meine oft zu aufdringliche, doch jederzeit fürsorgliche Pflegemama.
Kapitel 4
Ab 1552 - Arzthände
Wahlafried Strabo
Abt im Kloster von Reichenau
I ch war fertige Köchin!
Nach drei Jahren in der Küche hatte mir Gerlinde einen eigenen Herd überlassen, womit ich unseren Köchinnen gleichgestellt war, mit allen Befugnissen und Pflichten. Keine Frage, dass mein kümmerliches Selbstbewusstsein dadurch einen neuerlichen Schubs aufwärts erhalten hatte. Zur Klosterköchin reichte mein Können natürlich längst noch nicht, doch mein Eifer, von Gerlinde mehr und immer mehr zu lernen, hielt unvermindert an. Und im Sommer nächsten Jahres werde ich in unserer Schule das Apothekerstudium antreten.
Darüber hinaus spornte mich eine weitere Freude an, richtiger ausgedrückt, eine Hoffnung. Ende letzten Sommers hatte mir Palmatia eine eigens für mich hergestellte Salbe überreicht, mit der ich zur Probe einen Mondzyklus lang täglich eine meiner besonders dicken Narben eingecremt hatte. Dann die Überraschung, die Narbe war tatsächlich flacher geworden. Leider reagierte ich auf den Hauptbestandteil dieser Salbe, nämlich Azulen, allergisch, die Narbe wie auch ringsum die Haut hatten feuerrot geglüht. Dennoch hatte ich diese Kur auf Palmatias Rat vorgestern erneut begonnen, wobei diesmal die gesamte linke Augenpartie behandelt wurde. Hoffentlich stehe ich sie durch.
„E ndgültig Schluss jetzt, versalzt mit deinen Tränen ja noch die Speisen. Ich will dich erst wieder in der Küche sehen, wenn du alles überstanden hast“, gebot mir Gerlinde, wegen meines unablässig tränenden Allergie-Auges.
„Aber Schwester Miras Heilsuppe darf ich noch
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