Die Hexenköchin: Historischer Roman (German Edition)
ein herzlicher, vergnüglicher Mensch, und in seiner Gegenwart benahm sich Thekla ebenso. Während der letzten Wochen hatte ich die beiden mehrmals abends in ihrem Keilberger Wohnhaus besucht und angenehme Stunden mit ihnen verbracht. Nun freute ich mich auf das Erntedankfest auf dem Dorfplatz, zu dem sie mich morgen Abend mitnehmen werden. Agneta hatte mir seinerzeit von solchen meist übermütigen Volksfesten berichtet, an denen sie allerdings nur als Fräulein, also als Zaungast, hatte teilnehmen können, ich dagegen werde morgen gemeinsam mit den Dörflern feiern, mitten unter den hiesigen stolzen, fröhlichen, ‚freien Dörflern‘.
Z u dem Fest trug ich mein beiges Ausgehkleid mit grünem Schultertuch und kleiner grüner Haube, und mein Haar hatte ich zu zwei dicken, kurzen Zöpfen geflochten, damit die blonden Streifen nicht zu sehr auffielen.
Keilberg war kaum wieder zu erkennen. Die Dörfler hatten alle Gassen gereinigt, alle Außenlampen angezündet, kein Fuhrwerk versperrte den Weg, und an den Häusern entlang saßen in ihren schwarz-roten Harzer Trachten auf Hockern ältere Frauen und Männer, die, Trinkbecher in der Hand, fröhlich miteinander plauderten. Niemand schien sich in seinen vier Wänden aufzuhalten. Ich grüßte freundlich nach rechts und links und wurde ebenso freundlich zurückgegrüßt, während ich zum Dorfplatz strebte, wo Thekla und Fred mir einen Platz freihalten sollten.
Der menschenvolle Dorfplatz war hell mit Fackeln erleuchtet und hübsch mit Ähren, bunten Strohblumen und Ackerfrüchten dekoriert. Musikanten spielten schmissige Melodien, und um den Tanzplatz waren Bänke mit Tischen aufgestellt. Bald entdeckte ich auf einer der Bänke Thekla und Fred, beide ebenfalls in ihrer schwarz-roten Tracht, und nahm auf ihren Wunsch zwischen ihnen Platz. Fred hatte noch keine Getränke bestellt, er wollte erst erfahren, wonach mir der Sinn stehe.
„Soll es Bier sein?“, schlug er jetzt vor, womit Thekla und ich einverstanden waren.
Da Bier jedoch augenscheinlich das gefragteste, mir schien sogar das einzige hier verteilte Getränk war, blieb der Tisch vor uns lange leer. Was ich kaum zur Kenntnis nahm, so sehr nahm mich die hiesige ausgelassene Feststimmung gefangen. Ganz anders als die Odenborner Nonnen beim Erntedank, feierten diese Dörfler völlig ungezwungen. Zwar ging es auch laut und etwas derb zu, doch dergleichen war mir schließlich von einigen meiner Kolleginnen und Kollegen her nicht fremd. Hier herrschte eine solch natürliche Heiterkeit, wie ich sie noch nie erlebt hatte, weshalb ich nun Agnetas Gefallen an Volksfesten begriff.
Wieder forderte mich jetzt ein junger Mann zum Tanz auf, den ich jedoch, wie bereits mehrere Männer zuvor, unter einem Vorwand abwies. Der Tanz selbst verlockte mich zwar, doch mir bangte vor der dazugehörenden Umarmung.
„Das wird aber jetzt langsam unhöflich“, ermahnte mich Thekla. „Ich verstehe ja, warst ewig nicht mehr aus, aber auf einer Tanzveranstaltung nur rumsitzen, das geht nicht.“
Ich sah, wie Fred ihr zublinkerte, als er mir einen der gerade servierten schäumenden Bierkrüge vorsetzte, worauf er mir dann mit dem hiesigen Trinkspruch zuprostete: „Komm, mein Lieb, lass uns trinken!“
Darauf nahm ich einen Schluck, setzte den Krug jedoch gleich wieder ab, da ich erkannte, dass es sich hierbei nicht, wie zu unseren Mittags- und Abendmalzeiten, um Leichtbier, sondern um reines Bier handelte. Doch dagegen protestierte Fred: „Nein, du, ich habe trinken gesagt und nicht nippen.“
Also hob ich den Krug erneut an die Lippen und tat einen tieferen Zug, worauf er zufrieden nickte. Nicht lange, und er animierte mich abermals zum Trinken und bald drauf wieder. Das Bier tat seine Wirkung, ich wurde lockerer, und nun erhob sich Fred mit der Aufforderung: „Komm, mein Lieb, lass uns tanzen!“
Was blieb mir da anderes, als mich mit ihm unter die fröhlich Tanzenden zu mischen. Und es wurde ein Erlebnis, mich von ihm nach der flotten Melodie führen zu lassen.
Von da an wies ich niemanden mehr ab, ich tanzte mit jedem, der mich dazu aufforderte. Auch die Umarmungen störten mich nicht, ebenso wenig wie die Flirts, die beim Tanzen entstanden, und ich hörte es gerne, dass mich einige für erst achtzehn, höchstens neunzehn hielten. Mitunter stürmten, ja, regelrecht stürmten zwei oder auch mehrere junge Männer beim ersten Ertönen einer neuen Tanzweise gleichzeitig auf mich zu, wobei sich meist ein smarter Schwarzhaariger, Ortwin war
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