Die Hexenköchin: Historischer Roman (German Edition)
nicht definieren konnte, so sehr ich mich auch um eine deutlichere Sicht bemühte. Sicher, ich wünschte mir eine deutlichere Sicht, sträubte mich aber gleichzeitig dagegen, da diese Hindernisse, wie ich ahnte, nur durch meine Hilfe zu bewältigen sein werden. Einer Art Hilfe, die mir einen Seelenkampf abverlangen würde, und eben dagegen lehnte sich mein Inneres auf.
Abend für Abend wälzte ich mich seitdem mit diesen zerreißenden Gedanken in den Schlaf, ohne dass sie mich auch nur einen Schritt weiter brachten.
Bis ich nicht mehr umhin kam, mich diesem Problem vorbehaltlos zu stellen. Als ich Ende des Sommers abends Marlis und Jörg begrüßte, verhießen ihre Mienen nichts Gutes, und in meiner Stube teilten sie mir dann niedergeschmettert mit, das Haus von Marlis’ Eltern werde nun doch nicht verkauft, der Interessent habe sein Angebot zurückgezogen. Daher könnten sie ihr Blankenburger Haus, dessen Umbau inzwischen fertig gestellt sei, vorläufig nicht beziehen.
„So bald finden wir unmöglich einen anderen Käufer“, seufzte Marlis. „Dabei brauchen wir alleine für die Einrichtung der Schneiderei sowie für noch offene Rechnungen rund zweihundert Mark, dann noch der teure Umzug - und, und, und . .“
„Ja, ich weiß“, brachte ich benommen heraus und trat ans Fenster.
Die Zeit war gekommen, meine Hilfe zu erbringen. Aber in welcher Form? Um das zu erkunden, musste ich nun meine innere Abwehr konsequent beiseiteschieben, keinen Gedanken mehr an sie verschwenden, und nachdem mir das gelungen war, richtete ich meine Sinne fragend ins Unterbewusstsein. - Alles blieb dunkel und stumm . . Keine Antwort. Keine Eingebung, so intensiv ich auch darauf wartete. Doch ich ließ nicht nach, konzentrierte mich unentwegt fragend auf mein Inneres und wartete . . , weiterhin vergeblich. Nach einiger Zeit gab ich auf. Während ich aber zurück ins Tagesbewusstsein gelangte, deutete sich mir eine Antwort an. Sie wurde klarer, ich begann, sie zu erkennen und unterdrückte sie erschreckt - nein, bitte nicht das! Es muss eine andere Lösung geben. In dem Moment lenkte mich Marlis mit einer Frage ab, worauf ich sie abwesend bat: „Nicht jetzt, Marlis, ich muss einem Gedanken nachgehen.“
Ausgelöst durch diese Unterbrechung, prangte die Antwort gleich drauf klar vor mir, unausweichlich. Es handelte sich um meine Mitgift, die Herr Rubinez im Hildesheimer Kloster für mich hinterlegt hatte. Ich könnte sie mir aushändigen lassen, um sie Marlis und Jörg zur Verfügung zu stellen. Darauf presste ich mir die Fäuste gegen meine schmerzende Brust, die Mitgift stellte die letzte Verbindung zu meiner Familie dar, wenn ich sie abholte, würde ich dieses Band zerreißen. Mit Bestimmtheit hofften meine Eltern, von dem Abt jenes Klosters etwas über mich zu erfahren, und wenn ihnen dann mitgeteilt würde, ich habe das Geld schlichtweg abgeholt und sei anschließend auf Nimmerwiedersehen verschwunden? Die Mitgift selbst bedeutete mir nichts, meine Familie dagegen nach wie vor alles. Sicher, fiel mir jetzt ein, inzwischen war dieses Geld dort bereits über zwei Jahre deponiert, und wenn ich nicht bald bei dem Abt vorstellig werde, könnte meine Familie annehmen, mir sei etwas zugestoßen. Das hatte ich bisher nicht bedacht. Was also tun? - Zunächst eingehend darüber nachdenken, eine Nacht darüber schlafen.
Ich atmete mehrmals tief durch, um wieder ansprechbar zu werden. Dann wandte ich mich zu Marlis und Jörg um und teilte ihnen mit: „Möglicherweise kann ich euch helfen, aber es ist noch nicht spruchreif. Versteht bitte, ich muss mich noch eingehend damit beschäftigen, alleine. Morgen kann ich euch mehr sagen.“
Darauf geriet wieder etwas Licht in ihren Blick, und sie zogen sich nach einem freundlichen Gutenachtgruß in ihre Gästestube zurück.
Wenig später lag ich mit offenen Augen und wehem Herzen im Bett, und so sehr ich auch um eine für alle zufriedenstellende Lösung rang, ich geriet zu keinem Resultat. Mein Inneres empfahl mir, das Geld abzuholen, meine Gefühle aber sträubten sich dagegen, denn die Vorstellung, die letzte Brücke zu meiner Familie abzubrechen, tat zu weh.
Plötzlich aber blitzte mir durch den Kopf, meine Eltern könnten mir inzwischen eine Nachricht im Hildesheimer Kloster hinterlassen haben. Darauf setzte ich mich freudig im Bett auf - ja, das war durchaus möglich. Diese berechtigte Aussicht erlöste mich augenblicklich von meinen Seelenkampf. Nun war ich bereit, mir meine Mitgift, und nicht zu
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