Die Himmelsbraut
ich unsere Mutter Priorin umgehend von der Jahrzeitstiftung unterrichten werde.»
Kopfschüttelnd drückte Antonia sich an den beiden vorbei. Was für ein durchschaubares Possenspiel!
Euphemia stapelte die Essnäpfe des Mittagsmahls ineinander und hielt plötzlich inne. Mit müdem Blick betrachtete sie ihre Gefährtinnen.
«Wir müssen etwas unternehmen.»
Antonia fiel auf, wie sehr ihr ohnehin schon faltenreiches Gesicht in den letzten Wochen gealtert war.
«Alles, was mönchisches Leben ausmacht, wird in diesen Mauern mit Füßen getreten», fuhr die Sakristeigehilfin fort, «und wir machen uns mitschuldig, wenn wir nicht dagegen angehen.»
Antonia und die anderen nickten. Ihr kleiner Kreis bildete so etwas wie eine Gegenwelt inmitten dieses Gomorrhas, und manchmal hatte Antonia das Gefühl, dass sie die Einzigen waren, die das klösterliche Leben aufrechterhielten. Außer ihr und ihrer Schwester gehörten nur noch Euphemia, die stille, in sich gekehrte Gartenmeisterin Hilde und die bärbeißige Pförtnerin Mechthild zu diesem Kreis. Denn mit dem heutigen Tag, wenige Monate nach Elisabeths Umzug, hatte auch Agnes sie verlassen und war in die ehemalige Schulstube des Novizenhauses gezogen – die frömmlerische, selbstgerechte Agnes, der die Einhaltung der Regeln einst nicht streng genug sein konnte und die in Marienau jeden Verstoß umgehend ihrer Novizenmeisterin gepetzt hatte.
Diese fünf Nonnen kamen den Chorzeiten nach, zu denen Euphemia und Magdalena im Wechsel das Glöckchen im Kreuzgang läuteten, befolgten die Fastengebote, verließen die Klausur nur nach gegenseitiger Rücksprache und hielten sich an das Schweigen, zumindest im Kreuzgang, in der Kirche und während der gemeinsamen Mahlzeiten. Das Einzige, was nicht ganz der Regel entsprach, war, dass sie ihren täglichen Rat nach dem Mittagessen im Refektorium abhielten. Nur für sich und unabhängig von der Konventsversammlung, die in Antonias Augen zu einem lächerlichen Schwatzhaufen verkommen war.
Magdalena litt am augenfälligsten unter diesen Zuständen. Es schien, als wollte sie alles, was hier an Schlechtem geschah, auf ihre zerbrechlichen Schultern packen.
«Was also sollen wir tun?», brachte Mechthilds Frage sie zurück in die Gegenwart.
«Wir müssen Mutter Lucia benachrichtigen», sagte Euphemia mit Entschiedenheit.
Antonia zögerte. Bislang hatte sie den anderen nichts erzählt von ihrem Brief an die Äbtissin von Marienau, worin sie ihre Sorge um die Zustände geschildert und sie gebeten hatte, Liebfrauenwalde aufzusuchen. Sie hatte ihre Gefährtinnen nicht in Bedrängnis bringen wollen, da sie alle Camilla von Grüningen zum Gehorsam verpflichtet waren und ein solcher Brief einem Dolchstoß gegen die Priorin gleichkam. Einige Wochen war das mittlerweile her, und nun wartete sie mit zunehmender Ungeduld auf die Ankunft der Äbtissin. Zumal alles nur noch übler geworden war.
Sie räusperte sich. «Ich habe ihr geschrieben und sie gebeten zu kommen. Vor einiger Zeit schon.»
«Was?» Euphemia starrte sie ungläubig an. «Ohne unser Wissen?»
«Es schien mir klüger, euch nicht mit hineinzuziehen.»
«Wann war das?»
«Vor vier, fünf Wochen vielleicht. Ursel, die Laienschwester, hat das Schreiben einem hiesigen Trödler übergeben, der ihr im Namen des Herrn versprochen hatte, es einem Tuchhändler in Stühlingen weiterzureichen. Ein zweites Schreiben hatte ich, auf Ursels Vorschlag hin und mit ähnlichem Wortlaut, an den Bischof zu Konstanz verfasst. Das wollte der Trödler selbst hinunter nach Konstanz bringen. Eigentlich müssten beide Briefe längst angekommen sein.»
Euphemias Züge entspannten sich. «Dann wollen wir die Hoffnung nicht aufgeben.»
Indessen kam es anders. Zwei Tage später empfing Mutter Camilla mit der Subpriorin an ihrer Seite die fünf Nonnen mit eisiger Miene im Kapitelsaal. Sie hielt sich erst gar nicht auf mit Gebet und Lesung, sondern kam ohne Umschweife zur Sache.
«Ich habe gestern ein höchst aufschlussreiches Schreiben erhalten.» Sie zog ein Papier aus ihrer Rocktasche. «Es kommt von Bischof Hugo von Hohenlandenberg. Nun will ich euch, meine lieben Schwestern, den Inhalt nicht vorenthalten, auch wenn dieser Bischof uns Cistercienserinnen von Liebfrauenwalde bald nichts mehr zu sagen hat.»
Sie machte eine Pause, und ihr Blick glitt über die Sitzreihe der in voller Zahl versammelten Chorfrauen. Zwar wirkte sie äußerst gefasst, doch auf ihren Wangen zeigten sich bereits die
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