Die Himmelsbraut
verräterischen roten Flecken. Antonias Herz begann bis zum Hals zu schlagen.
«Was ich hier in der Hand halte, ist eine Art – nun, nennen wir es väterliche Ermahnung. Eine Ermahnung an unseren Konvent, Chorzeiten und Klausur einzuhalten und täglich gemeinsam zu speisen. Eine Ermahnung an mich als Priorin, den klösterlichen Tageslauf mit meiner Herde zu teilen. Und nun seht, was ich mit diesem Papier mache.»
Antonia stockte der Atem, als Mutter Camilla das bischöfliche Schreiben in der Luft zerriss.
«Wer von euch», ihre Stimme wurde schrill, «wer von euch hat unsere
vita communis
auf solch infame Weise angeschwärzt? Wer unter euch ist der Judas? Ich will es euch verkünden.»
Ihr Zeigefinger schnellte hervor und deutete auf Antonia.
«Hier sitzt dieser Judas, mitten unter euch. Denn ich habe noch einen weiteren Brief, dessen Inhalt zu zitieren ich mich enthalte. Einen Brief voller Lügen und Verleumdungen, der zum Glück seine Adressatin niemals erreicht hat. Unserem treuen Meister Feierabend, dem Tuchhändler aus Stühlingen, sei Dank.»
Im nächsten Augenblick schon stand Schwester Columbina vor Antonia, zerrte sie von ihrer Bank und streifte ihr in groben Handgriffen Kukulle, Skapulier und schließlich auch noch die Schuhe ab. Dann trat sie zu einer der Säulen, zog das Rutenbündel vom Haken und überreichte es der Priorin.
«Schwere Schuld hast du auf dich geladen», fuhr Mutter Camilla fort, «in Ungehorsam und grenzenlosem Hochmut. So empfange denn deine Strafe aus der Hand einer Mitschwester.»
Während dieser Worte schritt Camilla von Grüningen mit ihren Ruten in der Faust die Reihe der Nonnen ab. Vor Magdalena blieb sie stehen. Antonia konnte sehen, wie deren Augen zu flackern begannen und alles Blut aus ihrem Gesicht entwich. Allmächtiger, verschone sie, nicht schon wieder meine Schwester!, flehte sie stumm. Ihre Bitte wurde erhört.
«O nein, keine Sorge. Diesen Fehler werde ich kein zweites Mal machen. Eure Blutsbande scheinen doch unüberwindbar.» Sie wandte sich um. «Ihr andren aus Liebfrauenwalde sollt wissen, dass ich Schwester Antonia, diese Verräterin, bereits einmal habe züchtigen müssen. Als sie sich nämlich, ihr werdet es kaum glauben, in unserem Marienauer Kloster der Wollust ergeben hat!»
Unter dem Geraune der Nonnen übergab sie das Rutenbündel an Agnes und nahm in ihrem Abtsstuhl Platz. Sie winkte Antonia heran. Mit vorgestreckten Armen und gebeugtem Haupt musste Antonia vor den Stuhl treten, um ihre Strafe entgegenzunehmen. Hasserfüllt blickte sie der Priorin in die Augen, während sie in die Knie ging und Agnes hinter sie trat. Als sie das Schuldbekenntnis zu sprechen begann, winkte Mutter Camilla ab.
«Schweig! Nimm deine Strafe entgegen und bitte mich hernach um Verzeihung!»
Wie erwartet prasselten die Streiche mit voller Kraft auf sie ein. Antonia biss sich die Lippen blutig und konnte dennoch nicht verhindern, dass sie nach dem fünften oder sechsten Schlag laut aufschrie.
Die Priorin hob die Hand. «Es ist genug!»
Antonia sank vornüber. Ihr Rücken brannte unerträglich. Noch schlimmer aber war der Moment, wo sie sich vor dieser Frau auf dem Boden ausstrecken und um Vergebung bitten musste.
«Ich bitte – um Vergebung – meiner Sünden, ehrwürdige Mutter.» Bei jedem einzelnen Wort war ihr, als müsse sie sich gleich übergeben.
Mit einer herrischen Geste bedeutete ihr Mutter Camilla, wieder aufzustehen.
«Von Tisch und Chorgebet seist du ausgeschlossen und wirst drei Tage und drei Nächte in der Büßerzelle verbringen, um deine Schuld zu sühnen. Danach möge dir vergeben sein. – Und für diesmal wird keine Mutter Lucia dich vorzeitig aus der Büßerzelle entlassen.»
Schwester Columbina packte sie beim Arm und zerrte sie hinaus in den Kreuzgang. Antonia hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten, wobei die Subpriorin keinerlei Anstalten machte, sie zu stützen.
«Das hast du nun davon», zischte sie, als sie vor dem Türchen standen, hinter dem eine steile Treppe hinunter in die Kellerräume führte. «Viel zu milde ist unsere ehrwürdige Mutter mit dir umgegangen.»
«Wartet – nicht so schnell …»
Antonia stolperte über die letzten Stufen hinweg und schlug hart auf dem Steinboden auf. Im schwachen Schein der Tranlampe sah sie, wie sich ihre Tunika über dem Rocksaum dunkel verfärbte.
«Los, komm weiter. Hier hinein.»
Schwester Columbina schubste sie in die Büßerzelle, die so winzig war, dass man mit ausgestreckten
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