Die Himmelsbraut
Armen beinahe die sich gegenüberliegenden Wände berühren konnte. Eine Strohschütte mit einer zusammengefalteten Decke darauf nahm die Hälfte des Raumes ein, in der Ecke bei der Tür gab es ein Loch im Boden für die Ausscheidungen. Die feuchte Luft roch säuerlich, und in Antonias Magen begann es zu rumoren. Hier drinnen war es noch übler als im Loch von Marienau.
Hinter ihr fiel die schwere Eichenholztür ins Schloss, zwei Riegel wurden vorgeschoben, dann war es still. Antonia kauerte sich auf dem Strohhaufen zusammen. Sie zitterte am ganzen Körper. Als sie sich die Decke umlegte, schrie sie auf vor Schmerzen, wieder und wieder, bis sie merkte, dass es gar nicht mehr der Schmerz war, der sie aufheulen ließ, sondern blanke Wut. Wut gegen Camilla von Grüningen und deren Speichelleckerin Columbina, gegen diese verlogene Heuchlerin Agnes und erst recht gegen jenen Tuchhändler, der sich erdreistet hatte, den Brief an die Äbtissin von Marienau zu lesen und umgehend Camilla von Grüningen auszuhändigen.
Ihr Schreien ging in kraftloses Schluchzen über. Ganz umsonst hatte sie also auf Mutter Lucias baldige Ankunft gehofft. Als einziger, winzig kleiner Trost blieb ihr und ihren Gefährtinnen nur mehr die Gewissheit, dass sie im nächsten Frühjahr, zum heiligen Osterfest, kommen würde, in Begleitung des Vaterabts zu Lützel. Nach Jahr und Tag, so war es nämlich abgesprochen, wollten die beiden Liebfrauenwalde visitieren. Indessen war Antonia schleierhaft, wie sie den Herbst und den Winter hier überstehen würde.
Sie hätte sich gern unter Decke und Stroh vergraben, doch dazu brannte ihr Rücken zu sehr. Zudem begann auch noch ihr rechtes Knie heftig zu pochen. So starrte sie in dieser Hockstellung vor sich hin, bis sich ihre Augen an die Finsternis der Zelle gewöhnt hatten. Ein Fenster gab es nicht, nur unter der Tür drang ein schmaler Lichtschein herein. Gütiger Gott im Himmel, begann sie still zu flehen, gib mir die Kraft, dass ich nicht an meinen Mitmenschen und an der Kirche verzweifle.
In diesem Augenblick ruckte jemand von außen am Riegel. Knarrend öffnete sich die Tür, und der Schein einer Lampe erhellte den Raum.
«Lena!»
Vergebens mühte sich Antonia aufzustehen. Was für einen erbärmlichen Anblick musste sie abgeben, in ihrem schmutzigen, blutverschmierten Unterkleid auf dieser Strohschütte. Und wie unendlich leid tat ihr plötzlich Magdalena, dass sie das alles hatte mit ansehen müssen, zum zweiten Mal nun schon.
Ihre Schwester trat näher. Unter dem Arm trug sie die Ledertasche, die sie immer zu ihren Krankenbesuchen mitnahm. Nachdem sie sich vor dem Kruzifix neben der Tür bekreuzigt hatte, kniete sie zu Antonia nieder und öffnete die Tasche. In ihren Augen standen Tränen.
«Hast du mir Wasser mitgebracht? Ich hab Durst.»
Magdalena schüttelte den Kopf. Sie schob Antonias Rocksaum nach oben und untersuchte das aufgeplatzte Knie. Vorsichtig tupfte sie es mit einem sauberen Schwamm ab, träufelte eine scharfriechende Flüssigkeit darauf und umwickelte es mit einem Leinenverband. Das Ganze tat höllisch weh, doch als schlimmer noch empfand es Antonia, dass ihre Schwester kein Wort mit ihr sprach.
«Warum redest du nicht mit mir? Glaubst du etwa auch, ich hätte Unrecht getan? Es ist doch auch in eurem Sinne, dass Mutter Lucia hierherkommt.»
Da legte Magdalena sich den Zeigefinger an die Lippen und schüttelte traurig den Kopf. Über ihre Wangen liefen jetzt ungehemmt die Tränen. Antonia begriff, dass niemand mit ihr sprechen durfte. Auf Magdalenas Handzeichen hin wandte sie ihr den Rücken zu und stöhnte auf, als ihr das Kleid über den Kopf gestreift wurde. Doch nachdem die Wunden gereinigt waren und Magdalena ihr eine kühlende Paste aufgetragen hatte, ließ der Schmerz tatsächlich langsam nach. Behutsam legte Magdalena ihr wieder den Stoff der Tunika über den Rücken, packte ihre Utensilien zurück in die Tasche und wollte sich schon erheben, als sie innehielt.
Aus ihren runden Augen sah sie Antonia unverwandt an, als wolle sie ihr Mut zusprechen. Ihre Hände strichen dabei zärtlich über Antonias Wangen, am Ende drückte sie ihr einen Kuss auf die Stirn.
«Halte durch», flüsterte sie und war im nächsten Moment auch schon aus der Zelle verschwunden.
Drei Tage später war ihre Verbannung durchgestanden. Sie hatte dreimal am Tag einen Becher Wasser und ein Stück Brot erhalten, mal aus der Hand von Schwester Columbina, mal aus der Hand von Schwester Xenia, der
Weitere Kostenlose Bücher