Die Himmelsbraut
sie in Antonias Augen einigermaßen lächerlich aussehen ließ.
«Wenn du nicht so trödeln würdest», das Fräulein lenkte ihren Zelter neben Antonia, «wären wir schon lange daheim im Trockenen.»
Augenblicklich brachte Antonia ihr Pferd zum Stehen.
«Ich möchte allein reiten. Mir ist nicht nach Gesellschaft.»
Ihre Erzieherin kräuselte die Lippen. «Ganz wie du willst.»
Sie klatschte ihrem Zelter die purpurrote Gerte gegen die Flanke und trottete davon. Erleichtert ritt Antonia wieder an. Hoffentlich hatte das Fräulein nicht bemerkt, dass sie geweint hatte. Es ging niemanden an, wie elend sie sich fühlte, schon gar nicht diese Zicke.
Inzwischen hatte sich das Tal verengt. Ihr Weg führte jetzt zwischen den steilen Rebhängen und einem Waldstück hindurch, das den Blick auf Burg Holderstein verstellte. Sie hatten die Herrschaft Staufenberg verlassen und würden schon bald zu Hause sein.
Da schreckten Hufgetrappel und aufgeregtes Wiehern Antonia aus ihrer trübseligen Stimmung. Fünf Reiter galoppierten auf sie zu, viel zu schnell, wie sie befand, gleich würden sie mit Bernward und ihrem Vater zusammenstoßen! Im selben Moment erkannte sie, dass die beiden vorderen Reiter gerüstet und behelmt waren, indes trug keiner ein Banner, nirgends gab ein Wappen die Herkunft der Männer preis. Da gellte auch schon der erste Schrei durch die Luft, er kam von dem Kammerfräulein, ein schriller Schrei der Todesangst, der Antonia immer noch nicht begreifen ließ, was ihre Augen längst sahen: Das hier war ein Überfall durch schwerbewaffnete Strauchritter. Der erste preschte mit erhobenem Schwert auf Bernward zu, woraufhin der sich duckte und sein Pferd zur Seite riss, als der zweite Behelmte auch schon von der anderen Seite heran war und versuchte, ihn aus dem Sattel zu hebeln. Entsetzt riss Antonia Mund und Augen auf, doch der Schrei blieb ihr in der Kehle stecken, so grauenvoll war das, was nur drei Pferdelängen vor ihr geschah. Mit einem letzten Aufschrei – warum hörte sie niemand?, warum kam niemand zu Hilfe? – glitt Fräulein von Fleckenstein vom Pferd, tot oder nur ohnmächtig, das konnte Antonia nicht erkennen. Überhaupt war nun nicht mehr zu unterscheiden, wer da gegen wen schlug. Ein einziges Gemenge von Pferden und Reitern wand sich und schlug sich vor ihr im Grau des dichten Regens, als plötzlich der reiterlose Zelter auf sie zugestürmt kam, mit angstvoll verdrehten Augen. Ihr eigenes Pferd scheute, stieg steil in die Höhe, Antonia umklammerte seinen Hals, und während es sich mit schrillem Wiehern auf der Hinterhand herumwarf, sah Antonia im Augenwinkel einen menschlichen Kopf durch die Luft schießen und zu Boden kollern.
Jetzt endlich fand sie den Atem, laut zu schreien. Sie konnte sich kaum halten auf ihrem durchgehenden Pferd, das zusammen mit dem Zelter um sein Leben zu rennen schien. Den Weg, den sie gekommen waren, rasten die Tiere zurück, immer schneller und kopfloser, sprangen plötzlich nach links weg, in das Wäldchen hinauf, wobei Antonia halb aus dem Sattel geworfen wurde, ihr Gleichgewicht nicht mehr halten konnte und im nächsten Moment von einem Ast, der ihr gegen die Stirn krachte, aus der Welt geschleudert wurde in einen tiefen, dunklen Abgrund.
7 Burg Holderstein, Ende August 1520
A ls sie das erste Mal erwachte, dröhnte ihr der Schädel. Sie konnte die Augen nicht öffnen, so sehr schmerzte das grelle Licht, das sie umgab. Eine tiefe Stimme sprach von irgendwoher beruhigend auf sie ein, ohne dass sie die Worte verstehen konnte, jemand öffnete ihre Lippen und flößte ihr lauwarme Flüssigkeit ein, die auf der Zunge brannte. Dann versank sie wieder in diesem wohltuenden Nichts.
Beim nächsten Erwachen war es dunkel und still. Sie spürte, dass sie rücklings auf einem Bett lag und ihr rechter Arm in einer Art Schlinge vor die Brust gebunden war. Er fühlte sich taub an. Langsam hob sie den linken Arm, der sich tatsächlich bewegen ließ, und betastete ihren schmerzenden Kopf. Bis auf Augen, Nase und Mund war er gänzlich in einen Verband gewickelt.
Unterdessen schimmerte ein Lichtschein auf, und sie hörte, wie ein Schemel zur Seite gerückt wurde.
«Fräulein Antonia?»
Über ihr erschien das Gesicht einer jungen Magd, das ihr bekannt vorkam.
«Wo bin ich?», flüsterte sie.
«In der Gästekammer auf Holderstein.»
Die Magd schob ihr behutsam eine Hand unter den Hinterkopf und führte einen Becher mit Wasser an ihre aufgesprungenen Lippen. «Trinkt, in
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