Die Himmelsbraut
Käfig hockte. Anschließend waren sie vor das Portal der Heilig-Kreuz-Kirche gezogen, wo die Brautleute ihre Ehe mit dem Segen des Pfarrers öffentlich gemacht hatten.
Antonia hatte fast lachen müssen während jener feierlichen Zeremonie: Katharinas nagelneues Samtkleid, das bis zum Boden reichte, hatte hässliche Kotflecken am Saum bekommen, da der Boden vom nächtlichen Wolkenbruch vollkommen durchmatscht war und Katharina sich zu eitel gezeigt hatte, Holztrippen unter die Schuhe zu schnallen. So sah es nämlich wirklich aus in der Stadt, wo aller Dreck auf der Straße landete: die Exkremente von freilaufendem Viehzeug ebenso wie Küchenabfälle oder der Inhalt voller Nachttöpfe. Zehnmal mehr als auf dem freien Land hatte es in den engen Gassen Offenburgs gestunken, noch dazu hatte ein böiger Westwind die ekligen Ausdünstungen vom nahen Schindanger herangetragen und mit den Schwaden aus Kloaken und Sickergruben vermischt.
Zum Ärger ihres Vaters war Magdalena nicht dabei gewesen. Sie hatte mit ihrem Klostereintritt nicht bis nach Katharinas Hochzeit warten wollen, sondern darauf beharrt, an ihrem Tauftag zu Maria Magdalena nach Breisach zu gehen. Und das, obwohl die dortige Äbtissin ihr den Zeitpunkt freigestellt hatte. Es schien, dass ihr die Familie nicht mehr viel wert war.
Antonia zog sich die Kapuze ihres Reisemantels tiefer ins Gesicht. Jetzt würde es noch stiller werden im Herrenhaus des Gestüts. Und Phillip – Phillip war seit dem Johannifest kein einziges Mal nach Hause gekommen. Dafür hatte er ihr drei ausführliche Briefe geschrieben und durch einen markgräflichen Boten überbringen lassen, im letzten schließlich beteuert, wie sehr er sie vermisse. Und dass er es zutiefst bereue, sie beim Abschied nicht geküsst zu haben! Auch sie selbst hatte so oft schon zurückgedacht an diesen Augenblick, da Phillip sie in der Nacht vor das Hoftor gebracht und sich ein später, fast voller Mond über den Bergkamm geschoben hatte. Den Torwächter fanden sie mit offenem Mund schnarchend gegen die Mauersteine gelehnt, und bevor Antonia ihn wecken konnte, hatte Phillip sie in seine Arme gezogen. An ihrem Ohr hatte sie sein Herz hämmern hören, während sie fest aneinandergeschmiegt unter dem Sternenhimmel verharrten. Bis sich Phillip plötzlich losgemacht hatte und davongerannt war.
Es war nicht die Erinnerung an diese Umarmung, die ihr nun doch noch die Tränen in die Augen trieb, sondern vielmehr das Ungeheuerliche, das ihr Vater ihr heute offenbart hatte, kaum dass sie die Reichsstadt verlassen hatten. Sie, seine Jüngste, solle nun an Magdalenas Stelle nach Oberkirch heiraten! Familie Birkelnuss war offenbar über die geplatzte Hochzeit ganz außer sich geraten. Schließlich habe Reinbolt, in seiner Vorfreude auf die Verbindung mit Magdalena, sogar die wahrhaft herrschaftliche Partie mit einer Komtess aus dem Elsässischen ausgeschlagen. Mit der Aussicht auf Antonia als Braut indessen habe ihr Vater sowohl den alten als auch den jungen Birkelnuss besänftigen können. Mit Frau Birkelnuss sei das Gespräch schon um einiges mühevoller gewesen, aber deren Vorbehalte gegen Antonias wenig demutsvolle Art würden sich gewiss legen. Bald schon sollte der Vertrag aufgesetzt werden.
Antonia war wie vor den Kopf geschlagen. Wenn sie nur an diesen verkrampften, humorlosen Bohnenstecken dachte, drehte es ihr schon den Magen um. Als kleines Mädchen hatte sie insgeheim immer gedacht: Wenn ich überhaupt heirate, dann nur Phillip von Holderstein. Das mochten damals Kindereien gewesen sein – seit Johanni wusste sie es besser. Zum ersten Mal spürte sie, dass da noch etwas anderes war neben Vertrautheit, etwas Neues, ganz und gar Aufregendes, auch wenn sie es kaum wagte, dieses Gefühl vor sich selbst zuzugeben. Denn Markwart von Holderstein hatte für seinen Sohn ohne Zweifel bald jemanden im Auge. Eines aber wusste sie genau: Sie würde alles tun, um Reinbolt Birkelnuss nicht ehelichen zu müssen. Mit ihm und seiner selbstgefälligen Mutter wäre sie um ihr ganzes zukünftiges Leben betrogen.
«Kommst du endlich?», hörte sie vor sich eine ungeduldige Stimme.
Antonia sah auf. Die anderen waren ihr ein ganzes Stück voraus. Die Herrenmühle und das alte Wasserschloss der Staufenberger lagen hinter ihnen, durch das Grau des Regens schimmerte bereits der Bergfried von Holderstein. Fräulein von Fleckenstein kam mit missmutiger Miene auf sie zugeritten, im Seitsitz wie eine Prinzessin auf der Landpartie, was
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