Die Himmelsbraut
sogar schon was gegessen.»
«Ja.»
Der Ritter zog einen Schemel heran und setzte sich an den Bettrand.
«Wo ist mein Vater?», fragte sie leise. «Warum sieht er nicht nach mir? Warum bin ich hier und nicht unten auf dem Hof?»
«Ach, Antonia …» Er nahm ihre Hände zwischen seine und schien nach Worten zu ringen. «Du musst jetzt ganz stark sein. Musst in Gott vertrauen …»
Er brach ab.
«Bitte!»
«Du und die anderen – ihr seid überfallen worden.» Tränen rollten über seine Wangen. «Der Hirte, der dich gefunden hat, hat fünf Reiter davonsprengen sehen. Zwei waren gerüstet, die anderen hatten schwarze Tücher vor dem Gesicht.»
Blitzartig kehrte die Erinnerung zurück. Sie hatte den Kampf genau vor Augen, hörte die Schreie, das Wiehern der Pferde, das Klappern der Schwerter. Und dann sah sie wieder den Kopf durch die Luft fliegen und wie ein Ball beim Kinderspiel über den Boden rollen.
«Sind sie – tot?»
«Ja, mein Kind», der Ritter sah sie mit leerem Blick an, «sie sind alle tot.»
Phillip zögerte, die Tür zur Gästekammer aufzustoßen. Er konnte die Nachricht, die ihm sein Vater vorgestern nach Neu-Eberstein hatte überbringen lassen, immer noch nicht fassen. Das ergab doch alles keinen Sinn. Wann hatte es je Strauchritter in ihrem Tal gegeben? Aus dem nahen Kinzigtal hörte man immer wieder von solch mörderischen Überfällen auf Pilger und Wanderer, vor allem aber auf die Fuhrleute, die im Auftrag der Kaufherren ihre wertvolle Fracht über diese uralte Fernhandelsstraße kutschierten. Hier bei ihnen indessen gab es doch gar keine reiche Beute zu machen. Und falls irgendwer davon erfahren hatte, dass Albrecht von Oberthann mit seiner Mitgift auf dem Weg nach Offenburg war, dann hätte man ihn doch nicht auf dem Rückweg überfallen. Oder hatte Antonias Vater Feinde, von denen niemand wusste? Das konnte sich Phillip kaum vorstellen. Albrecht von Oberthann war in seiner besonnenen Art überall beliebt, selbst vor seinem Gesinde hatte er nie den Herrn herausgekehrt, war in seiner Strenge niemals ungerecht geworden.
Als er eben noch mit seinem Vater an den frischen Gräbern gestanden hatte, hatten sie beide geweint, sein Vater fast noch hemmungsloser als er selbst. Da erst war ihm klargeworden, dass sein Vater nicht nur seinen Gestütsverwalter verloren hatte, sondern seinen besten Freund. Und er selbst trauerte bitterlich um Antonias Bruder Bernward, der ihm wie ein eigener Bruder gewesen war, zu dem er aufgeschaut und den er von klein auf bewundert hatte. Ob Antonia wusste, dass sie ihm den Kopf abgeschlagen hatten?
Er zögerte noch immer, Antonias Zimmer zu betreten. Sie war nun zur Waise geworden, hatte vielleicht sogar mit ansehen müssen, wie Vater und Bruder, ihr Kammerfräulein und der Knecht auf grausamste Weise gemeuchelt worden waren. Wie sollte er ihr da Trost spenden können?
Nachdem er tief Luft geholt hatte, hörte er aus der Kammer eine Stimme: «Ist da draußen jemand?»
Er stieß die Tür auf. Antonia saß aufrecht im Bett, unter ihrem Leinenhemd sah man deutlich den Verband um ihren Oberkörper. Ihr rechter Arm war geschient, ihre rechte Wange zerschrammt, und auf ihrer Stirn klebte ein großes Pflaster. Als er sie solchermaßen versehrt vor sich sah, schossen ihm augenblicklich wieder die Tränen in die Augen.
«Phillip!»
Er stürzte an ihr Bett und setzte sich neben sie. Ganz vorsichtig schloss er sie in die Arme, drückte ihr dabei einen Kuss auf das zerzauste Haar. Sie stöhnte leise auf, und er wich zurück.
«Hast du große Schmerzen?»
«Es geht.» Sie wirkte erstaunlich gefasst, aber das konnte auch an den Arzneien liegen. «Bleibst du länger auf Holderstein?»
Er schüttelte den Kopf. «Ich wünschte, ich könnte bei dir bleiben, aber ich muss heute noch weiter. Ich bin nicht allein hier, sondern begleite meinen Herrn, den Ritter Wendel von Rothenbach, und den jungen Graf Wilhelm. Als der Bote mir die furchtbare Nachricht brachte, waren wir gerade im Aufbruch. Wir sind auf dem Weg nach Sulzburg, in die Residenz von Markgraf Ernst, und dort wollen wir …»
Er brach ab. Was faselte er da? Warum fand er keine tröstenden Worte?
«Sind sie schon unter der Erde?» Sie griff nach seiner Hand.
«Ja. Gestern war die Bestattung. Es tut mir alles so unsagbar leid.»
«Weißt du, was schlimm ist? Ich kann nicht weinen. Um die Toten muss man doch weinen. Um den eigenen Vater, den Bruder. Aber es geht nicht. Dafür bete ich den ganzen Tag um ihr
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