Die Himmelsbraut
bitte wie alle hier Schwester Maria Magdalena.»
Antonia schluckte ihre Enttäuschung herunter. Das war es ganz und gar nicht, was sie sich von dem Wiedersehen mit ihrer Lieblingsschwester erhofft hatte.
10 Abtei Marienau, Herbst 1520
B ereits drei Wochen nach ihrer Ankunft fegte der erste eisige Herbststurm übers Land, und Antonia war heilfroh um ihren pelzgefütterten Umhang, den sie bei der Arbeit draußen tragen durfte. Sie hatte sich noch immer nicht richtig eingelebt in ihren Alltag, ebenso wenig durchschaute sie Ordnung und Machtgefüge des Klosters. Alles war so fremd hier! Zudem ahnte sie, dass ihr künftiges Leben als Novizin noch andersartiger sein würde. Bislang glich ihr Tagesablauf eher dem eines Dienstmädchens, wenngleich Gebet und Gotteslob einen für sie ungewohnt hohen Stellenwert einnahmen. Zwar waren Unterkunft und Verköstigung sicherlich besser als bei jeder Bauernmagd, und an Arbeit war sie gewohnt. Einen gewichtigen Unterschied indessen gab es: Selbst eine Magd durfte hin und wieder ihren Spaß haben, ihr aber blieb jede Vergnügung verwehrt.
Was hätte sie darum gegeben, einmal nur durch die Gassen des nahen Städtchens zu wandern, einen Markt zu besuchen oder erst recht übers Land zu reiten, mit Phillip an ihrer Seite. Darüber konnte sie an manchen Tagen schier verzweifeln. Nicht einmal innerhalb der Klosteranlage durfte sie sich frei bewegen, hatte nur dort zu sein, wohin sie zu Arbeit oder Gebet geschickt wurde, und fühlte sich wie ein Hund an der Kette.
Wie jedes Kloster war auch Marienau zweigeteilt: in einen Wirtschaftshof, in dem die Laienschwestern, Brüder und Lohnarbeiter ihr Tagwerk verrichteten, und in die Klausur, den Lebensbereich der Nonnen und Novizinnen. Hier hinein gelangte man, von der Wagendurchfahrt abgesehen, über die innere Pforte oder durch die Kirche, die einzig der Klosterfamilie zum Gottesdienst vorbehalten war. Es dauerte geraume Zeit, bis Antonia die weitläufige Anlage des Wirtschaftshofs erkundet hatte, in der sich alles fand, was das Kloster unabhängig von der Welt machte. Da gab es die eigene Bäckerei und Mühle, die Schmiede und den Marstall, die Remise für die klostereigenen Fuhrwerke und Kutschen, dazu Küferei und Wagnerei, Heuschober und Haberkasten, das herrschaftliche Gästehaus und das weit weniger vornehme Hospiz für Pilger, Arme und Kranke mit dem Sprechzimmer für die eher seltenen Besucher der Nonnen. Dann waren da noch das Gesindehaus mit den angrenzenden Werkstätten und dem Waschhaus über dem Mühlbach und natürlich Schuppen, Scheunen und mehrere Stallungen für Groß- und Federvieh. Gegenüber der Kirche, gleich neben der Speisemeisterei, befand sich der heimliche Stolz der klösterlichen Wirtschaft: der mächtige Fruchtkasten, der über acht Stockwerke in den Himmel ragte und außer dem Speicher für den Zehnt noch Kelter, Weinbergmeisterei und Weinkeller beherbergte. Stellte man sich dicht davor und legte den Kopf in den Nacken, konnte einem schwindlig werden vom Hinaufschauen. Und nicht zuletzt war da noch die Propstei. Dieses hübsche weiß getünchte Fachwerkhaus nahe dem Kirchenportal bildete gewissermaßen das Bindeglied zur Außenwelt, denn es war mitten hinein in die Wehrmauer gebaut, mit Tür und Tor zur Klosterseite wie auch zur Breisacher Vorstadt hin. Hier hatte Ignatius von Munterkingen sein Domizil, hier traf er sich, in der Kanzlei, mit Klostervogt und Klosterschaffner.
In die eigentliche Klausur gelangte Antonia, außer zum Schulbesuch, nur selten. Um sich in dem verwinkelten Konventsgebäude zurechtzufinden, nahm sie sich ein Bild zu Hilfe: Waren Laienhaus, Nonnenspeisesaal, Novizenhaus und der Trakt der Äbtissin die vier kurzen Finger einer daumenlosen Hand, so stellte der Handteller das eigentliche Geviert dar, in dessen Mitte der Kreuzgang um einen kleinen Garten lief und über dessen Nordseite sich die Kirche erstreckte.
Ihr Tag begann weit vor Sonnenaufgang mit dem Ave-Maria-Läuten. Gleich den Laienschwestern nahmen Antonia und Vrena an den Chorgebeten der Nonnen nicht teil, und so tappten sie schlaftrunken hinter Käthe her, quer durch den dunklen Klostergarten hinüber ins Äbtissinnenhaus, um dort eine gute Stunde lang Putz- und Kochdienste zu verrichten. Mutter Lucia hatte bei sich nämlich eine eigene kleine Küche, die von der Speisemeisterei versorgt wurde. Oftmals mussten sie helfen, ein reichhaltiges Mittagessen vorzubereiten, wenn Mutter Lucia ihre Tafel mit Gästen und Pilgern teilte oder
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