Die Himmelsbraut
eine der Ordensschwestern zu sich einlud.
Hatte Antonia sich bei ihrer Ankunft über die Vornehmheit der Wohnstube noch gewundert, erkannte sie nun, dass alle anderen Räumlichkeiten der Klostervorsteherin karg, schmucklos und vor allem zweckmäßig eingerichtet waren: die Küche mit dem mächtigen Herd und dem groben Holztisch, die Schlafkammer mit nichts als einer schmalen Bettlade und einer Truhe, das Schreibzimmer mit Stehpult, Holzbank und einem ungepolsterten Lehnstuhl, der Andachtsraum mit einem schlichten Altar. In jedem dieser Räume hing ein Kruzifix, ansonsten waren die weiß getünchten Wände leer.
Meist kehrte Mutter Lucia, kaum dass sie zu putzen begonnen hatten, von den Laudes zurück, dem Morgenlob zum Tagesbeginn, um sich mit einem Becher Milch zu stärken und ein wenig zu lesen. Tagsüber bekamen sie die Klostervorsteherin kaum zu Gesicht, und Antonia ahnte, dass diese morgendliche Arbeitsstunde ihren Sinn vor allem darin hatte, sich gegenseitig kennenzulernen. So hatte die Oberin denn stets ein paar freundliche Worte für sie, fragte nach, wie sie bei der Arbeit, im Unterricht oder im Umgang mit den Klosterbewohnern zurechtkämen, und erlaubte ihnen ihrerseits, Fragen zu stellen. Für diese Momente mütterlicher Fürsorge war Antonia, die sich an ihre eigene Mutter kaum erinnern konnte, fast dankbar.
Nach dem Besuch der Frühmesse, die durch den Propst oder auch den Stadtpfarrer von Breisach gehalten wurde, gab es im Laienrefektorium, das sich im Erdgeschoss des Gebäudeteils befand, die erste kleine Mahlzeit aus grobgesiebtem Brot und Bier. Bis dahin waren Antonia und Vrena vor Hunger allerdings fast schon gestorben. Anschließend machten sie sich auf den Weg zur Schulstube im Novizenhaus, wo sie am Unterricht der Novizinnen teilnehmen durften.
Auf diese drei Schulstunden freute sich Antonia jeden Morgen aufs Neue, war sie dann doch endlich mit ihrer Schwester vereint. In den ersten zwei Wochen hatte man sie sogar neben sie gesetzt, wohl in der Absicht, ihr Heimweh zu lindern. So hatte Antonia, wann immer die Novizenmeisterin nicht herschaute, die Hand ihrer Schwester gedrückt oder gestreichelt. Vor kurzem jedoch waren sie auseinandergesetzt worden, und Antonia blieb nur noch der Austausch von Blicken und kurzen Gesprächen im Flüsterton während der Erholungspause. Die Zurückhaltung, mit der Magdalena ihr beim ersten Wiedersehen begegnet war und die sie auf Tage hin traurig gestimmt hatte, war vergessen, nachdem Magdalena sie in einem unbeobachteten Moment fest in die Arme geschlossen hatte.
«Ich bin glücklich, dass du hier bist», hatte sie ihr zugeraunt. «Und noch glücklicher werde ich sein, wenn du hier bei uns im Novizenhaus wohnen wirst.»
Vor Rührung und Freude war Antonia in Tränen ausgebrochen, und seither verlor der Gedanke an ein Noviziat ganz allmählich an Schrecken. Falls sie sich für die Einkleidung entscheiden würde, konnte sie Tag und Nacht mit ihrer Schwester zusammen sein und nicht nur die wenigen Schulstunden. Ob sie dann ein Jahr später ihre Profess ablegen und das ewige Gelübde schwören würde, stand ihr nach Kirchenrecht immer noch offen. Ebenso gut konnte sie sich auch als Laienschwester bewerben, sich dann um den Garten oder die Tiere kümmern. Was hatte sie auf Holderstein noch verloren, wo man sie nicht haben wollte, wo ihr weder Phillip noch jemand aus ihrer Familie geblieben war? Ein Zuhause gab es für sie schon lange nicht mehr. Da konnte sie ebenso gut hier im Kloster bleiben.
Hinzu kam etwas, mit dem sie am Tag ihrer Ankunft niemals gerechnet hätte. Nach wie vor empfand sie die tristen, grauen Mauern rundum, die kahlen und dunklen Gänge, die Enge der inneren Klosteranlage, die weder von Baum noch Strauch begrünt wurde, als beklemmend. Erst recht schmerzte sie der Anblick des Eckartsberges, der mit den im goldenen Herbstlaub stehenden Bäumen und Rebstöcken über den Dächern des Klosters zu sehen war – dieser kaum erträgliche Anblick von Freiheit, die so nah und doch unendlich fern schien.
Zugleich aber boten ihr ebendieselben Mauern Schutz und Geborgenheit. In der freundlichen Äbtissin und in ihrer Schwester fand sie ein klein wenig Trost nach jenem entsetzlichen Geschehen an Katharinas Hochzeitstag. Vielleicht wäre sie ja auf Holderstein, gleich Phillips Mutter, der Melancholie verfallen. Hier hingegen waren ihre grauenvollen Albträume, die sie anfangs fast jede Nacht gequält hatten, bald vorüber gewesen. Das mochte mit dem
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