Die Himmelsbraut
eine Spur zu redselig war, so war sie doch heilfroh, nicht allein zu sein in dieser ersten Nacht.
Ein vielstimmiges
Deo gratias
brachte Antonia wieder zurück in die Gegenwart. Nach dem Schlusssegen zogen sie unter Glockengeläut aus, mit einem Lied auf den Lippen, das Antonia nicht kannte. Sie verließen die Kirche nicht über das Hauptportal, wo sie hereingekommen waren, sondern über eine kleine Seitentür. Der heutige Tag war wesentlich kühler als die vorherigen, und so fröstelte ihr, als sie mit Vrena hinter dem Propst und seinen Altardienern den Kreuzgang betrat. Durch die Pfeiler der Spitzbogenfenster schimmerte im nebligen Dunst das Grün des Kreuzgartens.
In ihrer neuen schwarzen Tracht kam sie sich wie verkleidet vor. Verstohlen warf sie einen Blick hinter sich, wo im Gefolge der Äbtissin und der Priorin die Gäste marschierten.
«Das ist eine große Ausnahme heute, dass die Weltlichen die Klausur betreten dürfen», raunte Vrena ihr zu. «Das weiß ich vom Vetter meines Vaters, der hier Schaffner ist.»
«Wohin gehn wir?»
Statt einer Antwort erhielten sie beide einen Stoß in die Seite, der ihnen unmissverständlich zu verstehen gab, dass sie das Schwatzen lassen sollten. Er kam von der gestrengen Priorin, die, wie Antonia inzwischen wusste, Camilla von Grüningen hieß und Mutter Camilla genannt werden wollte. Als sie den Innenhof fast zur Hälfte umrundet hatten, blieben sie vor einer offenen Tür stehen. Von der anderen Seite des Kreuzgangs her erschienen zunächst die Ordensschwestern, dann, in gebührendem Abstand, zehn Novizinnen. Allesamt trugen sie weiße, festliche Mäntel, die glockenförmig und stark gefältelt bis über die Knöchel reichten und mit einer Kapuze versehen waren. Die jungen Novizinnen waren an ihrem weißen Schleier statt eines schwarzen zu erkennen. Auch war ihr Umhang ärmellos, wohingegen die Ärmel der Nonnen überweit fast bis zum Boden reichten, um die Hände zu bedecken.
Auf den ersten Blick sahen die Novizinnen alle gleich aus. Antonia war voller Freude auf das Wiedersehen mit ihrer Schwester, doch bevor sie sie ausmachen konnte, schob man sie vor den Brunnen im Kreuzgang. Während sie sich in der flachen Schale die Hände wusch, traf sich ihr Blick mit dem Markwart von Holdersteins. Er nickte ihr liebevoll lächelnd zu, als wolle er sagen: Du wirst sehen – hier bist du gut aufgehoben.
Sie folgten Mutter Lucia in einen langgestreckten, hallenartigen Saal, der an ein Kirchenschiff erinnerte – wären da nicht die hufeisenförmig angeordneten Tische gewesen. Daran erkannte Antonia, dass sie im Refektorium angelangt waren, dem Speisesaal der Klosterfrauen. Die hohe Gewölbedecke ruhte auf schlanken Rundpfeilern und war mit zarter Rötelmalerei geschmückt, die allerlei Vögel zwischen Ranken, Blattwerk und vor allem Rosen darstellte, dem Sinnbild der Muttergottes. Die schönen Zeichnungen waren leider nur schlecht zu erkennen, da die schmalen, wenngleich hohen Fenster an diesem trüben Tag nur wenig Licht hereinließen. Zuletzt entdeckte Antonia noch eine Durchreiche, aus der es verführerisch nach Gekochtem und Gebratenem duftete, und eine hohe Nische in der Wand gegenüber. Dort führte ein schmales Wendeltreppchen zu einem steinernen Lesepult.
Während sich die Nonnen und Novizinnen leise tuschelnd auf den Bänken bei den langen Tischen verteilten, führte die Äbtissin die Gäste an die Stirnseite, wo sie gemeinsam mit Propst und Priorin ihre Plätze einnahmen. Wie schon am Abend zuvor war alles mit makellos weißen Tüchern eingedeckt. Brot und Wein, Obst und Käse sowie kleine Handtücher an jedem Platz lagen bereit. Zu Antonias Erstaunen blieb der Stuhl zwischen ihr und Vrena leer.
«Anlässlich dieses Freudentages, an dem zwei junge Seelen zu uns gefunden haben», hob die Äbtissin zu sprechen an, «wollen wir feiern im Namen des Herrn und diesen Festschmaus genießen. Zuvor aber lasst uns für die Verstorbenen und Wohltäter ein
De Profundis
beten.»
Antonia hatte sich bereits gesetzt und fuhr wieder in die Höhe. Dann legte sie mit gesenktem Kopf die Hände aneinander und murmelte die Worte des Psalms mit, so weit sie ihr bekannt waren. Vergebens mühte sie sich, der Seelen ihres Vaters und ihres Bruders zu gedenken. Hier, an diesem kalten Ort, schienen die Toten so viel weiter fort als zu Hause auf Holderstein. Als Antonia wieder aufsah, entdeckte sie Magdalena. Sie war die einzige der Frauen, die zum Gebet auf dem Boden kniete. Noch ganz in
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