Die Himmelsbraut
Nicht nur hielt sie sich mit tiefster Inbrunst an die Stundengebete einschließlich der nächtlichen Vigilien und an sämtliche Fastentage, sondern unterwarf sich zusätzlich, wann immer möglich, den verschiedensten Bußpraktiken und geistlichen Übungen. Nicht selten kauerte sie schon im Chorgestühl, wenn Antonia die Empore zum Morgengebet betrat, weil sie dort die ganze Nacht verbracht hatte, oder warf sich während ihrer Erholungszeiten in Anbetung vor dem ausgesetzten Altarsakrament nieder, die Knie auf einer Lage von Kieselsteinen. Dass sie immer häufiger von der Magistra getadelt wurde, weil sie dem Unterricht nicht mehr folgen konnte oder gar einnickte vor Übermüdung, schien an ihr abzuprallen.
Neuerdings verlangte sie, wie von inneren Seelenqualen getrieben, fast täglich zu beichten, bis Mutter Lucia sie ernsthaft ermahnte, sich zu mäßigen und zwischen eingebildeten und ernsthaften Sünden zu unterscheiden.
Kurzum: Das, was ihnen als Novizinnen an demutsvoller Hingabe zu Gott abverlangt wurde, genügte Magdalena nicht, und Antonia spürte, wie sehr ihre Schwester darauf brannte, endlich zur Nonne geweiht zu werden. Doch je mehr Magdalena vergeistigte, desto stärker wurde Antonias eigener Widerwille gegen all die Zwänge des Klosterlebens, auch wenn sie im Grunde endlich einen Weg gefunden hatte, mit ihnen zu leben.
15 Unterwegs im Heiligen Römischen Reich, Anfang Mai 1521
D as Burgschloss des Landgrafen, wo sie ihr Nachtquartier nehmen würden, war nicht mehr fern, und so ließen sie ihre Pferde am langen Zügel gemächlich zwischen Hügeln und Feldern trotten, deren fruchtbares Grün in der Abendsonne leuchtete. Es war eine anmutige, offene Landschaft, die sie nach den dunklen Kiefernwäldern des Rheintals empfing, aber Phillip hatte keinen Blick dafür.
Seitdem er wusste, dass sein Vater Antonia ins Kloster gesteckt hatte, quälte ihn eine innere Unruhe. So war es ihm gerade recht, dass sein Dienstherr, Ritter Wendel von Rothenbach, den alten Ebersteiner auf dessen Reisen zu begleiten pflegte – und Graf Bernhard von Eberstein, als kurpfälzischer Rat und Präsident des Reichskammergerichts, war viel auf Reisen. Phillip merkte, wie gut es ihm tat, unterwegs zu sein, wobei ihn weniger die Sehnsucht nach der Welt hinaustrieb, nach unbekannten Städten, Landschaften und Herrscherhöfen, als eben jene Unruhe, die ihn schier verrückt machte, wenn er nur länger als eine Woche auf Neu-Eberstein verweilte. Zudem ließ ihn die Hoffnung nicht los, Antonia wiederzufinden. Warum nur hatte er sich damals am Johannifest, als ihre Väter über jenes Kloster für Magdalena gesprochen hatten, einen derartigen Rausch angesoffen? Womöglich war der Name des Klosters gefallen, nur erinnerte er sich an nichts, an rein gar nichts. Und Antonias Schwester Katharina, die er einmal in Offenburg aufgesucht hatte, konnte oder wollte ihm nicht weiterhelfen, hatte ihn in der prächtigen Eingangshalle ihres Hauses abgefertigt wie einen dummen Schulknaben.
So hatte er sich zur Gewohnheit gemacht, an jedem Frauenkloster, das am Weg lag, anzuklopfen und nach Antonia zu fragen. Dafür hatte er sich anfangs manchen Spott seiner Reisegefährten gefallen lassen müssen, inzwischen aber hatte man sich an seine Schrulligkeit, wie Ritter Wendel es nannte, gewöhnt. Wobei er sich längst selbst fragte, was für einen Sinn diese Suche nach der Nadel im Heuhaufen noch hatte, gab es doch unzählige Frauenkonvente im Land.
«Na, Junker Phillip – enttäuscht?» Ritter Wendel hatte neben ihm aufgeschlossen. Sie ritten als Nachhut ihrer kleinen Truppe, die aus dem alten Grafen, seinen beiden ältesten Söhnen Wilhelm und Bernhard und zwei Knechten mit ihren voll bepackten Handpferden bestand.
«Enttäuscht?» Phillip sah seinen Dienstherrn verdutzt an.
«Dass wir heute den ganzen Tag an keinem Nonnenkloster vorbeigekommen sind.»
Phillip lachte gutwillig über diesen Scherz, den er gar nicht komisch fand. Aber er mochte Ritter Wendel, diesen untersetzten, quirligen Mann, der ein Haudrauf beim Kampf und im Turnier war, ansonsten aber von umgänglicher Art. Hatte er allerdings zu tief in den Becher geschaut, was nicht gerade selten vorkam, musste man sich hüten, ihn zu reizen. Dann konnte er grob und ausfallend werden.
«Siehst du den Baum dort auf dem nächsten Hügel?» Der Ritter nahm die Zügel auf und ließ seinen kräftigen Fuchs tänzeln.
Phillip nickte. Er wusste, was kommen würde. Auch Ritter Wendel hatte seine
Weitere Kostenlose Bücher