Die Himmelsbraut
ihm Luthers Kampfschrift
Von der Freiheit eines Christenmenschen
zu lesen gegeben hatte, in deutscher Sprache.
Und jetzt hatte er den gelehrten Mönch sogar in persona erleben dürfen! Für diesmal nämlich war ihre Reise nach Worms gegangen, zum Reichstag des neuen Kaisers. Dorthin war der Wittenberger Mönch, dessen Schriften im Vorjahr öffentlich verbrannt worden waren und den der Papst durch seinen Kirchenbann zum Ketzer erklärt hatte, vorgeladen worden. Er sollte vor Kaiser und Reich widerrufen, was sich niemand entgehen lassen wollte. An der Seite des Markgrafen Philipp, der sich als Mittler zwischen den lutherischen und den altgläubigen Lagern angeboten hatte, hatte auch Graf Bernhard mitsamt seinen beiden Söhnen Zutritt zur Reichsversammlung in der Bischofsresidenz gehabt. Und mit ihnen, zu seiner großen Freude, Phillip, während Ritter Wendel von Rothenbach auf dieses «Spektakel» pfiff und sich ein paar schöne Tage in Worms gemacht hatte.
Die Stadt war ein einziger Hexenkessel gewesen. Zahlreicher als sonst waren die Fürsten des Reiches gekommen, in den Gassen hatte sich das Volk gedrängt, um Martin Luther mit Begeisterungsstürmen zu empfangen, und die Stadtwache hatte alle Hände voll zu tun gehabt, die Menge im Zaum zu halten.
Jenen denkwürdigen Augenblick, als der von Kaiser und Papst Verfemte nach einem Tag Bedenkzeit vor den Thron trat, würde Phillip nie vergessen. Er selbst stand zwar ganz im Hintergrund der überfüllten Hofstube und konnte nur mit viel Mühe einen Blick erhaschen, mal auf die schmalen Schultern und die Tonsur Martin Luthers, mal auf den blutjungen, blassen Kaiser der Deutschen, der kein Deutsch verstand. Aber die Worte des Mönchs waren klar und deutlich an sein Ohr gedrungen:
«Widerrufen kann und will ich nichts, weil es weder sicher noch heilsam ist, etwas wider sein Gewissen zu tun. Gott helfe mir. Amen.»
Ihm hatte der Atem gestockt. Niemals hätte er selbst diesen Mut gefunden, der doch das Todesurteil bedeuten konnte. Indessen war nichts weiter geschehen, als dass Doctor Luther auf einen Wink des Kaisers hinausgeführt und ihm freies Geleit gegeben worden war. Eine Woche später, zeitgleich mit ihnen, hatte Luther die Stadt in seinem Reisewagen verlassen.
«Hör mal, mein Junge – vergiss endlich dieses Mädchen, nach dem du suchst. Auch andre Väter haben schöne Töchter.»
Phillip schrak aus seinen Erinnerungen. Beinah wäre er auf die Packpferde aufgeritten.
«Ich habe über den Reichstag und Doctor Luther nachgedacht», entgegnete er wahrheitsgemäß.
Der Ritter lachte. «Das ist ja wahrhaftig ein Fortschritt, Junker Phillip! So kannst du dich ja vielleicht sogar auf das Bankett heut Abend freuen. Der Landgraf ist als splendider Gastgeber berühmt. Und die Damen an seinem Hof als ganz besonders liebreizend.»
Als Phillip das Gesicht verzog, kam Ritter Wendel erst recht in Fahrt: «Ich meine das übrigens im Ernst. Du solltest dich mehr dem schönen Geschlecht zuwenden. Du bist solch ein schneidiger Kerl – merkst du gar nicht, wie die Weiber dich anstieren? Unter den Hofjungfern müsste doch eine für dich dabei sein! Ja, warum nicht sogar eine der Grafentöchter? Die niedliche Emiliane von Eberstein beispielsweise, sie ist ein Jahr jünger als du und mit ihren fünfzehn Jahren gerade im richtigen Alter. Durch eine solche Heirat würde dir die Welt offenstehen, du hättest Zugang zu den höchsten Ämtern, würdest von der engen Bindung der Ebersteiner zum Markgrafen Nutzen ziehen.» Er musste Luft holen. «Hör zu: An Johanni ist auf dem Schloss wieder ein großes Turnier, da könntest du mit deinen Reitkünsten vor der Damenwelt deinen Wagemut beweisen. Wenn du willst, sorge ich dafür, dass du beim Bankett einen Platz ganz in Emilianes Nähe hast, und beim Tanz kommst du ihr dann näher. – Willst du?»
«Meinetwegen – ich danke Euch», erwiderte Phillip, nur um dieses leidige Thema vom Tisch zu haben. Außerdem war ihm gerade ein hoffnungsvoller Gedanke gekommen. Er kannte seinen Vater als einen durch und durch verantwortungsvollen Menschen, der die Sorgfaltspflicht für Antonia als sein Mündel ernst nehmen würde. Eigentlich müsste er ab und an in diesem Kloster nach ihr sehen, zumal Antonia keine männlichen Verwandten mehr hatte. Und da er nie ohne seinen altgedienten Edelknecht Johann reiste, könnte Phillip diesen als Boten nutzen. Er vertraute Johann blind, er kannte ihn seit seiner Geburt. Ihm wollte er die Botschaft mitgeben,
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