Die Himmelsbraut
dass sie nicht den Schleier nehmen dürfe. Dass er, Phillip, sie zur Frau wolle – und wenn er sie bei diesem Schreiberling Birkelnuss für alles Geld der Welt auslösen musste. Er konnte nur beten, dass es noch nicht zu spät war.
Fast wütend gab er seinem Pferd die Sporen. Warum nur war ihm dieser Einfall nicht früher gekommen?
16 Abtei Marienau, Sommer 1521
D ie Nachricht vom Tode des Reformators Martin Luther drang, wenn auch mit einiger Verspätung, bis nach Marienau. Bei seiner Heimreise vom Reichstag habe man ihn meuchlings überfallen, mit Degen durchbohrt und anschließend ins Feuer geworfen. Für einige Tage geriet das Leben im Kloster in spürbare Unruhe, der Konvent spaltete sich in zwei Lager. So ließ Mutter Lucia zur Verwunderung aller eine Messe für Luthers Seelenheil lesen, was bei der Mehrzahl der Nonnen zu großem Unmut führte. Die Magistra hingegen ließ sich einen ganzen Vormittag lang über die fluchwürdige Sekte dieses Ketzers aus, um ihre Schülerinnen anschließend einen Aufsatz schreiben zu lassen zu der Frage, warum Luthers teuflisches Gedankengut die christliche Seele in die Gefahr ewiger Verdammnis bringe.
Da sich Antonia nicht erneut den Mund verbrennen wollte, gab sie ein leeres Blatt ab, was ihre Novizenmeisterin derart in Zorn versetzte, dass sie Antonia drei Tage lang auf dem Fußboden essen ließ. Vor die Kapitelversammlung wurde sie für diesmal aber nicht geschickt. Wahrscheinlich ahnte Mutter Petronella, dass Antonia dort einer Strafe entgangen wäre.
Nicht einmal Magdalena hatte der Wirbel, den Luthers Tod entfachte, ungerührt gelassen. Sie brach sogar ihr Schweigegelübde, als sie einmal neben Antonia auf der Latrine saß: «Gott hat sein Urteil über diesen treulosen Mönch gesprochen. Nun liegt es an uns Menschen, zu beten und zu flehen, dass seine pestbringende Saat niemals aufgeht.»
Auch hierzu schwieg Antonia wohlweislich. Sie wusste nicht allzu viel über den gelehrten Mann, nur das, was Phillip ihr einstmals gesagt hatte. Demnach war Martin Luther alles andere als ein zu verfluchender Dämon, sondern einer, der den Glauben wieder auf Gottes Wort zurückführte.
Nachdem sich hierüber die Wogen geglättet hatten, geriet das klösterliche Leben bald erneut aus dem Gleichgewicht. Als sich mit warmen Tagen der Frühsommer ankündigte, brachen die Äbtissin, der Propst und einige klösterliche Amtsleute zu einer längeren Reise auf. Sie wollten den weit entfernt liegenden Streubesitz ihrer Herrschaft inspizieren und hernach dem Vaterabt des Mutterklosters Lützel, dem Marienau unterstand, Bericht erstatten. Zwei, drei Monate würden sie fortbleiben, und für diese Zeit hatte die Priorin, als Stellvertreterin Mutter Lucias, das Sagen.
Bislang hatten die Novizinnen mit Camilla von Grüningen nicht viel zu schaffen gehabt, waren doch Erziehung und geistige Bildung der Mädchen weitgehend Mutter Petronella überlassen. Camilla von Grüningen hingegen sah sich veranlasst, den Unterricht zu visitieren und bald schon umzugestalten. Man solle, anstatt in der lateinischen Grammatik oder in den gelehrten Schriften vom Hölzchen aufs Stöckchen zu kommen, weitaus mehr Gewicht auf Musik und Gesang legen.
«Solch herrliche Stimmen hat der Herrgott euch jungen Geschöpfen gegeben – lasst sie erschallen uns zur Freude und Ihm zur Ehre!», hatte sie ihnen am dritten Tag ihres Amtes als Oberin zugerufen. Fortan hielt die Vorsängerin die Chorproben täglich ab und nicht mehr nur zweimal die Woche, meist im Beisein der Priorin, die ihren Übungen mit geschlossenen Augen und verzücktem Lächeln lauschte.
Das war nicht die einzige Neuerung, die Mutter Petronella mit grimmigem Gesicht hinnehmen musste. Auch in die Handarbeitsstunden mischte sich die Priorin ein. Die von ihr auserwählten Mädchen durften sich, anstatt zu spinnen und zu weben, den sogenannten feineren Handarbeiten widmen und Messgewänder und Altardecken besticken. Die eine oder andre Novizin wurde auch zu Hilfsdiensten im Klausurbereich oder für die persönlichen Belange der Priorin herangezogen, was einer großen Auszeichnung gleichkam. Dafür erhielt man zum Lohn eine zusätzliche Freizeit, in der man sich im Kreuzgang oder im Blumengarten auf einem ruhigen Plätzchen etwas Erbauliches erzählen konnte. Fand Mutter Camilla Zeit, gesellte sie sich zu diesen Auserwählten oder führte sie sogar hinaus in den klostereigenen Weingarten am Eckartsberg, der vor den Mauern mit freiem Blick zum Rheinstrom hin lag.
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