Die Himmelsbraut
Brücke zerstört hatte, und so waren gegen Ende immer häufiger Erholungspausen vonnöten gewesen.
Hier oben, auf dem Höhenrücken des Schwarzwaldes, wirkte alles karger, rauer und auch ärmlicher als unten im Rheintal, sowohl die Landschaften, die Dörfer und Höfe als auch die Menschen. Antonia war nicht entgangen, dass von den Bauern und Hirten, die ihnen unterwegs begegnet waren, kaum einer das Haupt zum Gruß gebeugt hatte.
Das kleine Kloster lag weitab von der nächsten Stadt in einem flachen, wenngleich engen und recht dunklen Tal, das von einem Bach durchflossen wurde. Seine Mauern waren versteckt hinter mächtigen Tannen, nur der Glockenturm der Kirche war aus der Ferne zu sehen.
Schon auf den ersten Blick wurde offensichtlich, dass Liebfrauenwalde kaum etwas gemein hatte mit Marienau. Der Weg zum Klostertor war ungepflegt, löchrig und voll schlammiger Pfützen und hätte dringend neu bekiest gehört. Moose und Flechten bedeckten die Bruchsteine der Mauer, über die weder Turm noch Wehrgang wachten, und das Tor selbst, das sich nach dem Läuten öffnete, war nicht aus massivem Holz, sondern aus Latten, von denen einige zerbrochen waren. Die Schwester Pförtnerin, eine ältere Frau im schwarzen Habit der Benediktinerinnen, zeigte überdies, trotz ihrer demutsvollen Verbeugung, wenig Freude, als sie sie ins Innere des Klosters geleitete. Dagegen hielten ein gutes Dutzend Mägde und Knechte, alle in weltlicher Kleidung, in ihrer Arbeit inne und starrten sie neugierig an.
Antonia sah zu ihrer Schwester, deren Gesicht wie immer keine Regung zeigte, dann zu Mutter Camilla, die eben vom Pferd gestiegen war und beim Anblick der schäbigen Gebäude und der vor sich hin bröckelnden Mauern sichtlich entgeistert war. Bloß – was hatte sie erwartet? Ihre Aufgabe war es, diesem armen Waldkloster wieder auf die Beine zu helfen und ihm neues geistliches Leben einzuhauchen. Antonia klangen noch die Worte der Äbtissin im Ohr, die sie zum Abschied an Camilla von Grüningen gerichtet hatte: Sie solle als neue Oberin mit der ihr anvertrauten Herde alles teilen, in guten wie in schlechten Zeiten, und auch Entbehrungen demütig hinnehmen. In echter, unverbrüchlicher Gemeinschaft würde Liebfrauenwalde denn auch, mit Gottes Segen, eine neue Blüte erfahren.
Dabei war die einstige Abtei nicht immer arm gewesen, wie Antonia unterwegs erfahren hatte. In alten Zeiten hatte eine Burggräfin hier aus der Gegend das Kloster gestiftet, als Benediktinerinnenabtei, und mit reichlich Grund und Gut ausgestattet. Nachdem indessen das Geschlecht derer von Starkenburg ausgestorben war, hatten sich immer seltener Töchter aus adligem Hause eingefunden, auf deren großzügige Stiftungen man hoffen konnte. Dazu hatte man mit der Wahl der Äbtissinnen und der Klosterschaffner kein glückliches Händchen gehabt. So war Liebfrauenwalde durch Misswirtschaft und mangelhafte Führung der Klosterangelegenheiten wirtschaftlich mehr und mehr auf den Hund gekommen und schließlich in den Rang eines einfachen Klosters zurückgefallen, vollkommen abhängig von Bischof und gräflichen Schirmherren.
Nur noch sieben Nonnen lebten hier in Klausur, Novizinnen hatte es schon lange Zeit keine mehr gegeben. Als schließlich im letzten Winter die Priorin des Klosters im Sterben lag, hatte sie noch einen Hilferuf an den Abt von Lützel gesandt: Man möge doch eine erprobte Klosteramtsfrau zur Führung senden, aus eigener Kraft sehe man sich dazu kaum noch imstande. Zudem habe man keinen größeren Wunsch, als dass das Kloster aus der Obhut des Bischofs zu Konstanz befreit und baldmöglichst in den Cistercienserorden eingegliedert werde, denn man lebe schon seit geraumen Zeiten nach den Gewohnheiten der Weißfrauen.
Nun also sollte hier alles anders werden, nicht zuletzt mit einer großzügigen, wenngleich einmaligen geldlichen Zuwendung seitens des Ordens und den wohl beträchtlichen Reichtümern der Camilla von Grüningen. Künftig durfte sie nämlich allein verfügen über die Einkünfte aus ihrer gräflichen Leibrente, über Erbschaften und Schenkungen – selbstverständlich zum Wohle des Klosters. Und irgendwann, in einem halben oder in einem Jahr, würde sie womöglich den Hirtenstab entgegennehmen und zur Äbtissin von Liebfrauenwalde geweiht.
Warum ausgerechnet Camilla von Grüningen so erpicht auf diese Aufgabe gewesen und von ihrem Vaterabt in Lützel tatsächlich auch damit betraut worden war, konnte Antonia sich denken. Immerhin war sie seine
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