Die Himmelsbraut
Base, und fernab von Mutter Lucia würde sie endlich schalten und walten können, wie sie wollte. Ganz davon abgesehen, dass Antonia diese Frau inzwischen zutiefst verachtete, bezweifelte sie in höchstem Maße, dass Camilla von Grüningen ihr Vermögen tatsächlich zum Wohle des Konvents einsetzen würde.
«Ja, gibt es denn niemanden hier, der uns empfängt?»
Camilla von Grüningen blieb unvermittelt stehen und sah sich um. Auf ihren runden Wangen zeigten sich rote Flecken, wie immer, wenn sie sich ärgerte.
Die Schwester Pförtnerin kräuselte die Lippen. «Es ist die Zeit der Non, ehrwürdige Mutter Oberin. Die Schwestern sind mitten im Gebet.»
Sie winkte einen halbwüchsigen Jungen und eine Magd heran und fuhr fort: «Mögt Ihr mir bitte in den Kapitelsaal folgen? Dort könnt Ihr in Ruhe Euer Gebet verrichten, bis die Schwestern von Liebfrauenwalde so weit sind. Um Eure Begleiter werden sich Franz und Bertha kümmern.»
«Gute Schwester Pförtnerin», Mutter Camillas Stimme wurde scharf, «da wir eine anstrengende Reise hinter uns haben, möchten wir doch zuvor erst unsere Wohnstatt beziehen und uns eine kurze Erholung gönnen. Und die da», sie wies auf die junge Laienschwester Marthe, «kommt mit mir, als meine Dienerin.»
Antonia war nicht weniger erstaunt als die anderen Frauen. Camilla von Grüningen musste Marthe, ein knabenhaftes, etwas kränklich wirkendes junges Ding, eben erst zu ihrer persönlichen Magd auserkoren haben.
«Ganz wie Ihr wünscht, ehrwürdige Mutter Oberin», murmelte die Pförtnerin.
Aus den Augenwinkeln bemerkte Antonia, wie der junge Pirmin ihr mit einem Lächeln zuwinkte, als sie den anderen Frauen in Richtung Klausur folgte. Sie atmete tief durch.
Alles hier war bescheidener als in Marienau: die Kirche, das Klausurgebäude, ja die gesamte Klosteranlage, die sie jetzt durchquerten und die ebenso wie in Marienau mit einer inneren Mauer zweigeteilt war. Diese jedoch war halb zerfallen, im einstigen Wagentor waren die Torflügel ausgehängt, sodass der Blick frei war bis hinüber zur Kirche. Eine Mühle konnte sie ausmachen, an deren Rad einige Schaufeln ausgebrochen waren, daneben flache, strohgedeckte Gebäude, die Stallungen oder Werkstätten enthalten mochten, einen Kornspeicher. Immerhin war der Weg vom Pförtnerhaus zum Kirchenvorplatz mit Kies gepflastert, denn das Stroh, das rundum den Erdboden bedeckte, sah schmutzig und durchweicht aus. Im Laufe der Jahrzehnte mochten einige Gebäude abgerissen worden sein, denn es gab viel Raum zwischen den Mauern und Hauswänden für Brachflächen, für verwilderte Sträucher und Bäume.
Ein Paradies für brütende Vögel, dachte Antonia und merkte, wie ein kurzes Gefühl der Freude in ihr hochstieg. Vor dem Kirchenportal kamen sie zum Stehen. Linker Hand, abseits der Klausur, stand ein dreistöckiges Haus. Als einziges rundum war es frisch verputzt, in freundlichem, hellem Gelb.
«Eure neue Wohnstatt, Mutter Oberin. In diesem Haus befinden sich die Wohnung unserer Priorin und die Stuben für vornehme Gäste.»
«Sehr hübsch.» Die Miene Camillas von Grüningen hellte sich wieder auf. «Dann will ich mal mein künftiges Domizil besichtigen. Wir treffen uns später zur Kapitelversammlung, wenn ich die Glocke läute. Komm, Marthe – und du, Ursel, lässt dir von dieser Bertha das Gesindehaus zeigen.»
Schweigend folgten die anderen der Pförtnerin, begleitet vom Chorgesang, der aus dem Kircheninneren drang. Über eine Nebenpforte rechts der Portalvorhalle betraten sie den Kreuzgang. Die hohen Maßwerkfenster gaben den Blick frei auf einen hübschen, achteckigen Brunnen inmitten des Kreuzgartens, den eine Handvoll Schafe umrundeten. Antonia blieb wenig Zeit, sich umzuschauen, da es sogleich eine Steintreppe hinaufging. Anders als in Marienau stieß das Dormitorium im rechten Winkel unmittelbar an die Nonnenempore, was den Weg zu den nächtlichen Gebeten angenehm verkürzen würde. Die vielen Türen, die von dem langen Gang abgingen, verrieten, dass auch hier der einstige Schlafsaal in einzelne Zellen unterteilt war – zu ihrer großen Überraschung aber war jede zweite Zellentür mit Latten zugenagelt.
Elisabeth, die mit dem Amt der Kellermeisterin die Ranghöchste war, blieb stehen und wies auf die Türen.
«Verzeiht, Schwester Pförtnerin, wenn ich das Schweigen der Klausur breche. Aber was haben diese verriegelten Türen zu bedeuten?»
Ein Hauch von Röte überzog das Gesicht der Frau.
«Nun ja, da hier seit
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