Die Himmelsbraut
Absonderlichkeiten erst nach und nach auf.
Dass es hier keine Laienschwestern in brauner Tracht gab, hatte sie schon bei der Ankunft bemerkt. Die Frauen und Männer, die im Kloster arbeiteten, als Bauern, Handwerker oder Lohnarbeiter, nannte man hier Familiaren. Sie waren weltlich gekleidet, in einem ziemlich heruntergekommenen Gesindehaus untergebracht, das weit abseits der Klausur lag, und entstammten bis auf wenige Ausnahmen der hörigen Bauernschaft. Ein Gelübde hatte keiner von ihnen abgelegt, nur der Priorin musste Gehorsam geschworen werden. Vier der Frauen dienten ausschließlich den Belangen der hiesigen Nonnen, und zwar ebenjenen, die im Novizenhaus lebten. Was noch befremdlicher war und was es in Marienau niemals gegeben hätte: Diese Mägde wohnten bei ihren Herrinnen. Camilla von Grüningen indessen, die sich mit Marthe ebenfalls eine eigene Dienerin gönnte, schien dies vollkommen in Ordnung zu finden.
Antonias Verblüffung steigerte sich noch, als sie am fünften oder sechsten Tag nach ihrer Ankunft das einstige Novizenhaus im Ostflügel der Klausur erstmals betrat. Sie wollte die Subpriorin, der sie als Buchmeisterin unterstand, aufsuchen und fragen, wie mit den beschädigten Büchern zu verfahren sei.
Diesen Gebäudetrakt konnte man sowohl vom Garten her als auch über einen kleinen Flur vom Kreuzgang aus betreten. Die Tür zum Flur stand offen, die des Novizenhauses selbst hingegen war verriegelt. Wie bei einem städtischen Bürgerhaus hing rechts des Türrahmens ein goldfarbenes Glöckchen zum Läuten, und wie in einem Bürgerhaushalt öffnete kurz darauf eine Magd und deutete eine Verbeugung des Knies an.
«Zu wem möchtet Ihr, Schwester?»
«Zu Schwester Columbina, der Subpriorin.»
«Da habt Ihr aber Glück, Schwester. Sie ist eben aus dem Dorf zurück.»
Hatte die Klausur hier keine Bedeutung mehr? Außerdem war es die Zeit zwischen Terz und Sext, die Zeit der vormittäglichen Arbeit also.
«Aus dem Dorf, sagst du?» Doch die Magd hatte sich bereits umgedreht und eilte die Treppe hinauf. Antonia folgte ihr durch ein blitzblank geputztes Treppenhaus, dessen Wände erst vor kurzem einen frischen Anstrich bekommen hatten, so deutlich roch es noch nach Farbe.
«Hier entlang, Schwester. Kommt nur.»
Eine Tür schwang auf, und als Antonia die überaus geräumige Stube betrat, traute sie ihren Augen nicht. Ein Kaminfeuer verbreitete wohlige Wärme an diesem trüben Tag, die Wände waren mit wertvollen Gobelins bespannt, auf einer Kommode standen hübsche Krüge und Zinnteller, darüber hing statt eines einfachen Kruzifixes ein Ölgemälde von der Kreuzigung Christi in goldenem Rahmen. Ein schwerer Eichenholztisch mit gedrechselten Beinen und zwei gepolsterte Lehnstühle vervollständigten die Einrichtung. Ein Bett war nirgends zu sehen, dafür eine zweite Tür, die in einen Nebenraum ging und nur angelehnt war.
«Aha, wir haben Besuch.»
In einem der Lehnstühle thronte Schwester Columbina, barhäuptig und in einer hellblauen Tunika. Auf ihrem Schoß lag ein Stickrahmen, auf dem sich die Blütenblätter einer roten Rose abzeichneten.
«Tretet nur näher, Schwester Antonia. Ein paar kandierte Früchte gefällig?»
Schwester Columbina zog eine Schale mit allerlei Leckereien vom Fensterbrett.
«Nein, danke, Schwester Columbina», erwiderte Antonia. Sie dachte daran, mit welch armseligen, oftmals sogar angefaulten Essensrationen ihre Schwester für die Armenspeisung auskommen musste, die sie täglich an der Pforte verteilte.
«Ich wollte nur fragen, was wir mit den beschädigten Büchern machen sollen. Ich habe sie jetzt alle ausgesondert.»
«Das ist schön.»
In diesem Augenblick schwang die Nebentür auf, die den Blick auf ein Schlafzimmer mit einem zweifach breiten Bett freigab, und Schwester Florentina stürmte auf die Subpriorin zu. Sie war in einen lindgrünen Sommermantel aus Seidendamast gewandet.
«Und, meine Liebe? Wie findest du ihn? Den Saum muss ich allerdings noch ein klein wenig kürzen lassen.»
Schwungvoll, mit abgespreizten Armen, drehte sie sich um ihre Achse, wobei sich der Umhang glockenförmig aufbauschte. Dabei bemerkte sie Antonia.
«Oh!», sagte sie nur und blieb ohne eine Spur von Verlegenheit stehen.
Antonia stierte die Gewandmeisterin an. Ihre Fassungslosigkeit war vollkommen. An einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit wäre sie bezaubert davon gewesen, wie schön Florentina aussah in diesem glänzenden, eleganten Mantel und dem offenen Haar, das sich
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