Die Himmelsbraut
in goldblonden Wellen bis über die Schultern ergoss. Jetzt indessen verursachte ihr dieser Anblick fast Ekel. Wie schon bei der ersten Kapitelsitzung trug die junge Nonne auch heute diese goldenen Ohrringe, dazu waren Augen, Lippen und Wangen geschminkt. Wie eine junge Dame bei Hofe sah sie aus und benahm sich auch so. Dies widersprach der klösterlichen Idee vollkommen.
«So setzt Euch doch, Schwester Antonia, und nehmt wenigstens ein Schlückchen Saft zu Euch.» Die Subpriorin gab ihrer Dienerin einen Wink, woraufhin das Mädchen verschwand.
Antonia nahm auf dem weichen, bequemen Lehnstuhl Platz und atmete tief durch. So sah es also wirklich aus im Innern dieses verlotterten Klosters, so also benahmen sich die Nonnen, wenn sie unter sich waren.Und ausgerechnet Camilla von Grüningen, in ihrer unberechenbaren Art, sollte Liebfrauenwalde auf den rechten Weg führen. Das hieß den Teufel mit dem Beelzebub austreiben.
Derweil hatte Schwester Florentina die Wohnung verlassen, sichtlich verärgert über die Störung durch Antonia, und die Magd brachte zwei Becher mit Fruchtsaft.
«Ihr spracht von den Büchern.» Schwester Columbina nahm einen großen Schluck, während Antonia ihren Becher auf dem Boden abstellte, ohne zu trinken. «Nun, es gibt da einen Papiermacher in Kaltenmatt, dem größten unserer Dörfer. Der wäre gewiss in der Lage, sie wieder zu richten.»
«Könnt Ihr den Mann holen lassen?»
«Wo denkt Ihr hin? Soll er seine Leimküche hierherschleppen?» Sie lachte laut, und eine Reihe gebleichter Zähne wurde sichtbar. «Nein, nein, da müsst Ihr Euch schon selbst auf den Weg machen. Lasst Euch von Schwester Gerlinda einen Knecht und ein Packpferd für die Bücher geben.»
«Aber – die Klausur … Könnte nicht einer der Familiaren nach Kaltenmatt gehen?», fragte Antonia unsicher.
«Die Klausur, die Klausur – steht nicht geschrieben, dass jede Schwester mit Erlaubnis und in wichtigen Angelegenheiten das Kloster verlassen darf? Dies hier ist eine wichtige Angelegenheit. Oder wollt Ihr, dass die Bücher unterwegs gestohlen werden oder ein dussliger Knecht sie in den Matsch fallen lässt? Ich beauftrage Euch also kraft meines Amtes als Subpriorin, die Bücher dorthin zu bringen. Sobald die Tage ein wenig wärmer werden und kein Regen droht.»
So fraglich es für Antonia nach wie vor war, ob dies nicht doch gegen die Regel verstieß, so sehr versetzte sie die Aussicht, hinaus aufs Land zu gehen, doch in freudige Aufregung. Seit ihrer Ankunft hatte sie das Kloster nicht mehr verlassen. Zu ihrer Enttäuschung hatte Mutter Camilla bei ihrem Antrittsbesuch auf den Dörfern außer ihrer Dienerin Marthe nämlich nur Schwester Elisabeth, Schwester Columbina und Pfarrer Bonifaz mitgenommen.
Rasch verabschiedete sich Antonia und kehrte zurück in die Bibliothek. Auf dem Weg dorthin begegnete ihr Mutter Camilla. Sie war in Begleitung des Klosterschaffners, eines schmerbauchigen Mannes in der pelzbesetzten Schaube eines Ratsherrn, und dessen Schreiber. Offensichtlich waren sie gerade dabei, die Klosteranlage zu inspizieren.
Antonia beschloss, Mutter Camilla um Erlaubnis für ihren Ausflug zu bitten, auch wenn es ihr etwas widerstrebte. So konnte sie sichergehen, den Vorschriften Genüge zu tun. Außerdem war ihr eingefallen, dass es Magdalena guttun könnte mitzukommen. Sie verschränkte die Hände in den Ärmeln, grüßte ehrerbietig und berichtete dann ohne Umschweife von ihrem Auftrag.
«Zudem würde ich gerne Schwester Maria Magdalena zur Begleitung mitnehmen», schloss sie.
«Liebes Kind», die Priorin lächelte gönnerhaft, «du hättest mich nicht fragen müssen. Es ist schon rechtens, wenn Schwester Columbina als Ältere und Ranghöhere dir eine Anweisung dieser Art erteilt. Denke aber daran, was der heilige Benedikt vorschreibt. Wer von den Mönchen auf Reisen war, möge sich hernach im Chor auf den Boden legen und beten, des Bösen wegen, das man unterwegs gesehen oder gehört hat. – Was Schwester Maria Magdalena betrifft: Es würde sie zu sehr aufrühren, einen ganzen Tag lang die Klausur zu verlassen. Du wirst ohne sie gehen müssen.»
Sobald man das Tal bachaufwärts verließ, öffnete sich die Landschaft zu einer weiten, hügeligen Hochfläche, die teils mit Wald, teils mit Wiesen und Feldern besetzt war. Hier lagen die fünf Dörfer, die zur Herrschaft des Klosters gehörten und die alle bis auf Kaltenmatt ihre Klosterkirche als Pfarrkirche nutzten. Selbst heute, an diesem sonnigen
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