Die Himmelsbraut
Kaltenmatt. Der Ort lag am Waldrand und war um einiges größer als die anderen Dörfer. Zudem war er mit einer mannshohen Bruchsteinmauer umgeben und besaß eine eigene Pfarrkirche. Hier waren deutlich mehr Menschen unterwegs, Trödler, Bauern und Knechte. Viele von ihnen blickten zur Seite, wenn sie ihnen begegneten, oder feixten frech. Ein junger Kerl spuckte gar vor ihnen aus, und Antonia spürte, wie sehr sich Peter zusammenreißen musste, um keinen Streit vom Zaun zu brechen.
«Die Menschen hier mögen uns Nonnen wohl nicht», sagte sie, als sie die kleine Mühle des Papierers erreichten. Sie lag außerhalb der Dorfmauer an einem Bach.
Peter zuckte die Schultern.
«Na ja, es heißt, dass die Ordensleute das Leben reicher Damen und Herren führen, statt Dienst an Gott zu tun. Grad den Benediktinern wirft man Geldgier vor und dass sie …» Er stockte. «Verzeiht, das hätte ich nicht sagen dürfen. Vielleicht ist das ja bei Euch Weißfrauen anders.»
Sie hätte ihn gern gefragt, ob er selbst auch so denke, zog es aber vor, über diese Dinge nicht weiter zu reden. Ein ganz klein wenig schämte sie sich plötzlich dafür, das Habit einer Klosterfrau zu tragen.
«Bringen wir die Bücher hinein.»
Wenigstens der Papiermacher begrüßte sie freundlich und respektvoll, fast schon ein wenig unterwürfig. Nachdem er die Bücher begutachtet hatte, lud er sie sogar zum Mittagessen ein und versprach, die Schäden bis in einer Woche zu beheben. Dann machten sie sich auf den Heimweg. Antonia vermochte die Natur und das immer noch herrliche Wetter nicht mehr so recht zu genießen. Was Peter über Mönche und Nonnen gesagt hatte, bedrückte sie, zumal sie ihm nicht einmal hatte widersprechen können. So vieles in Liebfrauenwalde schien im Argen zu liegen.
«Könnt Ihr eigentlich reiten?», fragte er sie, nachdem sie die Bergkuppe überwunden hatten und das Klostertal am andern Ende der Hügellandschaft schon auszumachen war.
«Wie kommst du darauf?»
«Ich hab beobachtet, wie Ihr mit dem Ross umgeht. So beherzt.»
«Ich bin auf einem Gestüt aufgewachsen.»
«Wirklich? Auf einem Gestüt würde ich auch gerne arbeiten.» Er brachte das Pferd zum Stehen. «Dann helf ich Euch jetzt hinauf.»
«Das geht nicht. Was hast du für närrische Einfälle? Außerdem – es hat ja nicht einmal einen Sattel.»
«Also könnt Ihr doch nicht reiten.»
«Von wegen.» Antonia nahm ihm die Zügel aus der Hand und brachte das Tier zu einem kniehohen Markstein. Von dort schwang sie sich auf den breiten Pferderücken, was mit ihrem langen Gewand einigermaßen schwierig war. Verlegen stellte sie fest, dass ihre nackten Knöchel zu sehen waren, und drückte dem Pferd rasch die Hacken in die Flanken. Etwas widerwillig setzte der kräftige Braune sich in Trab und fiel schließlich in einen schwerfälligen Galopp. Mit der Linken, die die Zügel hielt, umfasste sie den Ledergurt, der dem Tier um den Rumpf geschnallt war, mit der Rechten musste sie sich den Schleier festhalten. Sie hätte singen mögen vor Freude, als das Pferd schneller wurde und mit ihr gleichsam über die Wiese flog. Wie sehr hatte sie das vermisst!
Als sie in einem großen Bogen zu Peter zurückkehrte, glühten ihre Wangen, und sie hatte das Gefühl, von einem Ausflug in ihre Kindheit zurückzukehren. Peter lachte sie an. Genau so hatte Phillip immer gelacht, in dieser Mischung aus Anerkennung und leichtem Spott, wenn sie eine ihrer Wetten gewonnen hatte.
«Das hätt ich nicht gedacht, Schwester Antonia. Alsdann – reiten wir doch zusammen zurück. Unser Ross hat ein breites Kreuz.»
«Du bist wirklich ein Narr. Sag, dass das als Scherz gemeint ist.» Sie glitt zu Boden.
«Gar nicht.»
«Dann muss ich dich aufs schärfste tadeln.» Sie konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme bebte. Allein der Gedanke, mit diesem Jungen eng beieinander auf einem Pferd zu sitzen … Ihr Herz klopfte schneller. Da waren sie wieder, diese verbotenen Empfindungen, genau wie auf der Reise mit Pirmin, ja stärker noch, unheilvoller. Sie presste die Lippen zusammen und ging voraus, so eilig, dass Peter kaum hinterherkam auf seinen nackten Füßen.
Ein Schatten war auf diesen wunderbaren Tag gefallen. Zum einen war sie traurig darüber, wie die Menschen hier über das Klosterleben dachten. Zum andern war sie erschrocken über das Durcheinander ihrer Gefühle. So war sie heilfroh, als sie endlich Liebfrauenwalde erreichten.
«Dann machen wir uns also in einer Woche wieder auf den
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