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Die Himmelsleiter (German Edition)

Die Himmelsleiter (German Edition)

Titel: Die Himmelsleiter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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Ratzenbach nur gekitzelt, um ihn kampfunfähig zu machen. Der erste Studentenprozess endete in Heidelberg mit einem Freispruch.

DIE JÜNGER DES CHAOS
     
    Der Gruppe, die Altomonte um sich geschart hatte, geh örten zunächst nur wenige feste Mitglieder an. Sie sollte allerdings schnell anwachsen und Ende der Siebziger zu einer fast legendären Einrichtung geworden sein. Wie viele andere Neugierige, die, von den abenteuerlichsten Gerüchten angelockt, im Laufe der Zeit dazu stießen und mehr zuhörten, als selbst viel beisteuerten, nahm auch ich an den meisten Zusammenkünften der ersten Jahre teil, ohne zum harten Kern zu gehören.
    S päter sollte sich die Gruppe einen richtigen Namen geben und Arbeitsgemeinschaft Dynamische Systeme heißen. Während Altomonte und andere vollmundig und mehr ernst als ironisch von sich als den Jüngern des Chaos sprachen, bürgerte sich bei Außenstehenden die despektierliche Bezeichnung Chaos-Clique ein.
    Das angesehenste Mitglied der ersten Stunde war Stephan Schmal. Er war ein bedeutender Mathematiker und mit f ünfundvierzig Jahren der Älteste. Er hatte einige Jahre in den Vereinigten Staaten gelehrt. Seine unfreiwillige Rückkehr in die Bundesrepublik verdankte er seinem politischen Engagement. Schon zu Beginn des Vietnam-Krieges hatte er in Kalifornien auf Eisenbahnschienen gesessen, um Truppentransporte zu den Verladehäfen am Pazifik zu verhindern. Das Komitee zur Bekämpfung unamerikanischer Umtriebe soll das Seine dazu beigetragen haben, dass ihm das Forschungsstipendium entzogen wurde. Am Institut waren Gerüchte in Umlauf, nach denen ein Interview auf der Haupttreppe der Moskauer Universität, das Fass zum überlaufen brachte. Schmal war nach Moskau gereist, um am Internationalen Mathematikkongress teilzunehmen und eine der bedeutendsten Auszeichnungen seines Faches entgegenzunehmen. Im Interview, das er einem nordvietnamesischen Journalisten gab, verurteilte er die amerikanische Invasion in Vietnam. Es nutzte ihm nichts, dass er im gleichen Atemzug den sowjetischen Einmarsch in Ungarn genauso heftig kritisierte. Auch dass die Sowjets, keineswegs erfreut, ihn eingehend verhörten, rehabilitierte ihn in den Augen der Amerikaner nicht.
    Neben Altomonte und Schmal geh örten Hans Spiegel und Michael Guckenheimer zum inneren Kreis. Während dieser Strömungsphysiker war und sich mit Turbulenzen beschäftigte, kam Spiegel aus einer ganz anderen Ecke. Er war Artenbiologe. Von denen aus dem weiteren Dunstkreis der Gruppe ist Günter Leicht hervorzuheben, ein echter Technikfreak, der am Rechenzentrum arbeitete und uns einige gute Dienste leistete.
    Was alle miteinander teilten und was sie schlie ßlich zusammengebracht und zu einer verschworenen Gemeinschaft gemacht hatte, war die kindliche Begeisterung, die fieberhafte intellektuelle Erregung, die nur das wirklich Neue hervorzurufen vermag. Jeder hatte zunächst für sich einen Zipfel dieser anderen wissenschaftlichen Welt in Händen gehalten. Zuerst hatten sie gezweifelt, hatten sich für verrückt erklärt, hatten dann, durch einen verstreuten Artikel, durch die Bemerkung eines Kollegen ermutigt, weitergemacht. Altomonte brachte sie schließlich zusammen - weiß der Teufel, wie er sie gefunden hatte -, und plötzlich wussten sie, dass sie nicht allein waren. Sie waren keine verschrobenen Spinner, sie waren Visionäre, sie waren die Speerspitze einer Revolution, die ganze Bibliotheken, unzählige Professoren rund um den Globus der Geschichte überantworten würde, einer Geschichte, die von nun an verstaubt und langweilig erscheinen sollte.
    Ein ganzes Weltbild zerplatzte wie eine Seifenblase , und sie durften zusehen. Es war ihnen vergönnt, eine epochale Umwälzung miterleben, sie mit etwas Glück sogar mitzugestalten. Eine Chance, die es, das brauchte ihnen niemand zu sagen, nur alle paar hundert Jahre gab. Jedem hätte es offen gestanden, es ihnen gleichzutun. Doch die etablierte Wissenschaft machte keine Anstalten, sich den neuen Erkenntnissen zu öffnen. Sie ignorierte sie zunächst, bekämpfte sie dann, wo immer es ging, um sich schließlich einzuigeln und Schritt für Schritt auch von den altehrwürdigsten Lehrstühlen verdrängt zu werden.
    Doch das war Zuk unftsmusik. Noch waren die Jünger des Chaos Rebellen. Sie fühlten sich als die Galileis oder Newtons, als die Einsteins und Plancks, die den Sprung vom alten zum neuen Denken gewagt hatten. Niemand, nicht einmal Altomonte, hätte die Richtung anzugeben gewagt,

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