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Die Himmelsleiter (German Edition)

Die Himmelsleiter (German Edition)

Titel: Die Himmelsleiter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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ganze Tage im Katalogsaal der Universitätsbibliothek und wurde hin und wieder fündig. Er stieß auf einen Henri Poincaré, auf John Russell, Debois Reymond und auf viele andere.
    Und doch hatte es eines Mannes wie Stephan Schmal bedurft, jemanden mit seiner Erfahrung und seinen Kontakten, um aus dem Sammelsurium die Umrisse eines zusammenh ängenden Bildes hervortreten zu lassen. Schmal hatte ihm die entscheidende Hilfestellung gegeben.
    Im Gegenzug sollte Schmal von Altomontes Besessenheit und seiner manchmal fast erschreckenden geistigen Unabh ängigkeit profitieren. Also genau von der Fähigkeit, die Altomontes Ansehen in der Gruppe begründen und seine Führerschaft selbstverständlich erscheinen lassen sollte.
    Als Altomonte mir erz ählte, er arbeite mit Pendeln, hatte ich erst gelacht und dann gestutzt. Zu abwegig war mir die ernsthafte Beschäftigung mit dieser so offensichtlich simplen Materie erschienen.
    Pendel waren das Aush ängeschild der klassischen Mechanik. Was der Apfel für Newton, das war das Perpendikel für Galilei gewesen: Symbol für ein ganzes wissenschaftliches Zeitalter. Jedem Schüler war jener Galilei geläufig, der im Gewölbe einer dunklen Kirche die Schwingungen einer an einem langen Seil aufgehängten Lampe misst und Freunde und Bekannte in Schichten einteilt, um die Durchläufe des Pendels zu zählen und sie mit der vorher berechneten Anzahl zu vergleichen. Auch das Experiment Foucaults, der im Pariser Pantheon ein fünfzig Meter hohes Perpendikel angebracht hatte, um die Erddrehung sichtbar zu machen, war in den Treppenhäusern der naturwissenschaftlichen Gymnasien im kleineren Maßstab, aber mit dem gleichen Erfolg nachgestellt worden. In den Einführungsvorlesungen wurden Pendel aber nur flüchtig gestreift. Es gab interessantere Bereiche der Physik, die man uns Studenten näherzubringen gedachte. Im Zeitalter der Relativitätstheorie und der Quantenmechanik schien der angemessene Platz, den diese kleinen Kunstwerke der Mechanik an einer Universität einzunehmen hatten, der in den Ausstellungsvitrinen der historischen Demonstrationsanordnungen.
    Nicht, dass sie bedeutungslos geworden wären. Im Gegenteil. Sie waren nur gezähmt und wissenschaftlich abgehakt worden. Die Ingenieure arbeiteten jetzt mit ihnen. In jeder Maschine steckte irgendetwas, das oszillierte. Unauffällig wie Heinzelmännchen versahen sie überall ihren Dienst. Aber sie bargen keine Geheimnisse mehr. Vernachlässigte man die Reibung, waren sie dazu verurteilt, einfachen Gesetzen gemäß, bis in alle Ewigkeit hin und her zu schwingen. Pendel waren der Inbegriff der Vorherbestimmtheit. Nicht umsonst bildeten sie die Grundlage jeder Zeitmessung, und auf was konnte man sich - Einstein hin, Einstein her - sonst verlassen, wenn nicht auf den stetigen Ablauf der Zeit? Wie konnte dieses armselige Gebilde also zum bevorzugten Untersuchungsobjekt, zur Labormaus der neuen Wissenschaft werden?
    Wie viele andere nat ürliche Systeme unterlagen auch Pendel zwei grundlegenden Prozessen. So geschickt sie auch konstruiert waren, ihre Energie fiel unweigerlich der Reibung anheim. Um sie in Bewegung zu halten, mussten sie deshalb angetrieben werden. Das vermeintliche Gleichgewicht dieser beiden Triebkräfte entpuppte sich, sah man genauer hin, als ein hochkomplexes Wechselspiel, das sowohl Regelmäßigkeiten als auch Unregelmäßigkeiten aufwies. Ein solches System schwankte in engen Grenzen und war stabil, ohne dass sich seine Zustände tatsächlich immer exakt wiederholt hätten. Obwohl im Kleinen chaotisch, folgte es im Großen einer höheren Ordnung.
    Dieser Anschein vollst ändiger Vorherbestimmtheit, dem die klassische Mechanik aufgesessen war, verschwand sofort, erhöhte man die Energiezufuhr. Wie beim Lorenz'schen Wasserrad offenbarte sich dann auch dem unwilligsten Betrachter die Unberechenbarkeit eines solchen Systems.
    Es war aber nicht diese Unberechenbarkeit allein, die Menschen wie Schmal und Altomonte in den sechziger Jahren dazu brachte, sich wieder Pendeln zuzuwenden. Sie waren von der Entdeckung fasziniert, dass selbst einfachste Systeme facettenreiche Muster hervorbrachten. Strukturen, die unendlich weit ineinander verschachtelt sein konnten, die, gleichgültig, welchen Bereich man genauer untersuchte, stets neue, feinere Details offenbarten. Nichts wiederholte sich blind. Wie ein musikalisches Thema wurden bestimmte Elemente immer wieder aufgegriffen und phantasievoll variiert. Tatsächlich erschien ein

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