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Die Himmelsleiter (German Edition)

Die Himmelsleiter (German Edition)

Titel: Die Himmelsleiter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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kommend, wirkt Biel n üchtern und zweckmäßig, fast bedürftig. Die Stadt hat nichts Aufsehenerregendes, und auch der See bleibt seltsam unverbunden, so als liege er mehr zufällig dort.
    Frau Demmonaie war zehn Jahre j ünger als ich. Sie war eine jener repräsentativen Hausfrauen und Mütter, die die Villen erfolgreicher Männer bevölkern. Sie hatte einen Mitarbeiter jenes Instituts geheiratet, an dem auch ihr Bruder arbeitete, einen ehrgeizigen Wissenschaftler, der irgendwann dahintergekommen war, das ihm Geld mehr bedeutete als die Häufigkeit, mit der er von Fachkollegen zitiert wurde. Er war in die Industrie gegangen, hatte sich ein großes Grundstück am See unweit der Stadt gekauft, und jetzt parkten zwei große amerikanische Straßenkreuzer in der Einfahrt. Im Sommer verbrachte er die Samstagnachmittage auf dem Golfplatz bei Neuchâtel.
    Abgesehen davon, dass ihr Mann tatsächlich ein früherer Kollege von White gewesen war und auch die Villa ihren Eindruck auf mich nicht verfehlte, hatte ich keinen Anlass, das anzunehmen, was ich gerade geschildert habe. Es entsprach nur dem Bild, das sich unwillkürlich einstellte, als Frau Demonnaie mir, wie vor laufenden Kameras verbindlich lächelnd, die eisenbeschlagene Tür öffnete, etwas zu gönnerhaft, wie ich fand, die Hand hinhielt und mich dann, Artigkeiten austeilend, ins Kaminzimmer geleitete.
    Unter ihrer glatten, fast unechten Freundlichkeit sp ürte ich die Beunruhigung angesichts des Verschwindens ihres Bruders. Vielleicht waren meine Recherchen der Strohhalm, an den sie sich klammerte. Was konnte sie sonst veranlasst haben, mich bereitwillig zu empfangen? Auch die Polizei war mehr als einmal hier gewesen, zuerst in der Hoffnung, White habe bei der Schwester Unterschlupf gefunden, später auf der Suche nach einem Anhaltspunkt, der ein wenig Licht auf sein Verschwinden hätte werfen können.
    Madame Demonnaie hatte sorgf ältig frisierte halblange blonde Haare, war dezent geschminkt und einfach, aber elegant gekleidet. Unter ihren grünblauen Augen schwammen die ersten Fältchen wie Segelboote auf einem glatten See. Trotz der Jahre in der Schweiz, war ihre amerikanische Herkunft unverkennbar. Vor allem ihre Stimme, ihre eigentümliche Färbung - wir sprachen Englisch -, die Worte, die sie formte, die gleichzeitig auszuufern und sich wieder zusammenzuziehen schienen, all das passte nicht in dieses Land, in dieses Haus. Ob es ihrem Bruder genauso ergangen war? Sie hatte mir gleich ein Foto von ihm gezeigt: ein großer aufgeschlossener, etwas naiv wirkender Junge, der gerade vom Baseball oder Football kommen mochte. Anders als die Schwester hatte er dunkle, fast schwarze Haare und die Hautfarbe von jemandem, der sich viel im Freien aufhält.
    Ein wenig hilflos stellte ich die Fragen, die ich glaubte, stellen zu m üssen - "Wann haben Sie Ihren Bruder zum letzten Mal gesehen? Ist Ihnen etwas Besonderes aufgefallen? Wie war er als Mensch?" -, ohne die Hoffnung zu haben, etwas Nennenswertes zu erfahren. Wir spielten beide eine seltsam sinnlose Rolle. Sie allerdings ernsthafter als ich. Jetzt rächte sich mein überhasteter Aufbruch. Ich war schlecht vorbereitet. Wie ein Ermittler, der nicht ganz bei der Sache ist, spulte ich mein Repertoire ab.
    Was hatte ich mir von diesem Besuch versprochen? Hatte ich wirklich geglaubt, White in einem Verschlag versteckt vorzufinden? Und sollte ich dann nicht tats ächlich Keller und Speicher unter einem fadenscheinigen Vorwand in Augenschein nehmen?
    Frau Demonnaie taute langsam auf. Von Minute zu Minute wurde sie nat ürlicher, ungezwungener. Sie schien die gesellschaftlichen Rollenerwartungen wie unpassende, zu warme Kleidungsstücke nach und nach abzulegen. Ihre Augen wurden lebendiger, die Pupillen größer. Sie saß entspannter und presste nicht mehr die Beine wie ein Schulmädchen zusammen. Dennoch wirkte sie jetzt schüchterner als zuvor. Auch die gelangweilte Welterfahrenheit war verblasst. Ich bildete mir ein, die Ursache für diese Verwandlung zu sein. Dabei hatte ich weniger meine Wirkung als Mann im Sinn. Ratlos, wie ich vor ihr saß und sie mit großen Augen freundlich anblickte, mochte ich auf sie, aufgeschlossen und aufnahmebereit wirken. Obwohl ich mich mehr für dunkelhaarige Frauen interessiere, gefiel sie mir umso besser, je länger sie mir gegenübersaß und nervös mit ihren Armbändern herumspielte. Sie hatte lange, feingliedrige Hände.
    Wir waren bei der Collegezeit angekommen. Sie erz ählte von der

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