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Die Himmelsleiter (German Edition)

Die Himmelsleiter (German Edition)

Titel: Die Himmelsleiter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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ich nicht verschweigen, aber" - er hob die Hände, als wollte er sagen "Machen Sie sich nichts draus!" - "wir leben in einem freien Land. Jeder kann tun und lassen, was er will." Er zeigte ein feines Lächeln. "Natürlich sollte man tunlichst darauf achten, dass man dabei den Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht verlässt, aber da ist ja für vieles Platz, nicht wahr?"
    Es sah nicht so aus, als sollte ich auf der Stelle verhaftet werden. Je l änger er sprach, desto sicherer wurde ich mir, dass Alessandras Stippvisite unbemerkt geblieben war. Vielleicht hatten sie mich tatsächlich jahrelang beobachtet, hatten meinen politischen Werdegang misstrauisch verfolgt, bereit, mich beim erstbesten Fehltritt aus dem Verkehr zu ziehen. Wahrscheinlicher war, dass sie eine Weile gehofft hatten, ich würde sie zu Alessandra führen. Regelrecht beschattet hatten sich mich in letzter Zeit vermutlich nicht.
    Die Stra ßenbahn kam, und wir stiegen ein. Ernst löste brav einen Fahrschein und stellte sich zu mir in die Zugmitte. Alle Sitzplätze waren von Hausfrauen mit prallgefüllten Einkaufstaschen oder von dicken schnaufenden Rentnern besetzt. In den Gängen standen die Rüstigeren, die Ausländer und ein paar Schüler, von denen man nicht wusste, ob sie gerade zur Schule fuhren oder schon von dort kamen. Zwei deutsche Männer in unserem Alter machten sich vermutlich schon allein deshalb verdächtig, weil sie nicht Auto fuhren. Mein Schatten hielt sich im Hintergrund und tat konspirativ: Er sah durch mich hindurch, als kenne er mich nicht. Kein Wort wurde gewechselt. Bald erschien mir die Situation genauso lächerlich und unwirklich wie jene Anfang Januar mit Alessandra.
    Seit Mai ' 68 war ich in der einen oder anderen Form politisch aktiv gewesen. Die K-Gruppen, die sich bald gebildet hatten, waren mir zutiefst suspekt geblieben und auch zur Unterstützerszene, jenem legalen und halblegalen Umfeld des bewaffneten Kampfes, zog es mich nicht. Darauf hatten sich Ernsts lobende Bemerkungen vermutlich bezogen. Nach Jahren, in denen ich zwischen allen Stühlen zu sitzen meinte, hatte ich schließlich in der undogmatischen Linken eine politische Heimat gefunden.
    Zum bewaffneten Kampf hatte ich ein zwiesp ältiges Verhältnis. Wie viele andere verspürte ich Sympathie mit dieser Handvoll Desperados. Manchmal meinte ich sogar, dunkel die Notwendigkeit zu erahnen, früher oder später selbst zur Waffe greifen zu müssen. Vielleicht war es Bequemlichkeit, fehlende Überzeugung, vielleicht glaubte ich im Grunde meines Herzens mehr an diesen Staat, als ich es mir eingestehen wollte. Vielleicht war es einfach Feigheit. Schon als Kind war ich jeder Prügelei aus dem Weg gegangen. Allerdings hatte mich erst Alessandra kürzlich mit ihrer Bitte zum ersten Mal in Versuchung geführt. So unwahrscheinlich es klingt, nie zuvor wollte mich jemand anwerben.
    Am Bismarckplatz stiegen wir aus. W ährend die 3 auf sich warten ließ, wurde mein Begleiter wieder gesprächiger. Er nahm den Faden dort wieder auf, wo ihn die Umstände Minuten zuvor unterbrochen hatten.
    Der kleine Mann vom Verfassungsschutz ging seine Version von dem durch, was ich in der Stra ßenbahn notdürftig memoriert hatte: Die Anfänge im Jahre 1968, die erste WG mit Alessandra und Robert, die zweite WG, meine Arbeit in verschiedenen Bürgerinitiativen und später beim Öko-Institut , politische Gruppen und Demonstrationen, an denen ich teilgenommen hatte. Altomonte erwähnte er mit keinem Wort. Ernst hatte sich eine Zigarette angesteckt und paffte gemächlich. Dicke Schwaden zogen mir in die Nase, und ich rückte einen Schritt ab. Die Akte, die sie über mich angelegt hatten, schien dick zu sein, und er hatte alle Einzelheiten im Kopf. Sein Bericht war knapp und ließ mich in einem recht positiven Licht erscheinen, dennoch meinte ich manchmal in einer Pause, einem Zögern den einen oder anderen dunklen Punkt herauszuhören, eine Sachbeschädigung, einen Haus- oder Landfriedensbruch - ich war mir nicht sicher, welche die korrekte juristische Würdigung gewesen wäre. Ich sei gefährdet gewesen, schien er mir sagen zu wollen, doch hätte ich langsam, aber stetig auf den rechten Weg zurückgefunden.
    Ganz offensichtlich sollte ich f ür sie arbeiten. Im ersten Augenblick war ich nur empört. Ich fuhr ihn an, sagte, ich sei kein Spitzel und noch mehr Dinge in der Art. Dann bekam ich Angst. Was, wenn Sie mich erpressten, wirklich etwas von jenem gegen mich in der Hand

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