Die Himmelsleiter (German Edition)
bereitete, brachte ein paar unzusammenhängende Erklärungen zusammen, ohne ihr verheimlichen zu können, dass ich im finstersten Dunkel tappte.
F ür einen Augenblick meinte ich, so etwas wie Unwillen oder Ungeduld in ihren Augen aufblitzen zu sehen. Sie entspannte sich jedoch sogleich und lachte. "Du bist mir ein schöner Detektiv!"
Sp äter auf der Straße bot ich ihr an, sie wieder nach Hause zu begleiten.
Chloé schüttelte den Kopf und sagte: "Ich warte am Freitag um achtzehn Uhr auf dich. Bei mir."
Es war Mittwoch, und ich sp ürte, wie Angst in mir aufbrandete angesichts dieser weiteren zwei Tage, die ich ohne sie würde überstehen müssen. Mit jedem Tag, der vergangen war, war ich ein Stück näher, an das gerückt, was ich glaubte, noch beherrschen zu können. So sicher ich mich in ihrer Nähe fühlte, so unerträglich war der Gedanke, zurück in die Ungewissheit meines Hotelzimmers gehen zu müssen. Selbst die Aussicht, sie am Freitag in ihrer Mansardenwohnung zu besuchen, war mir jetzt kein Trost. Hilflos wollte ich protestieren, sie überzeugen oder zumindest um Aufschub begehren, als sie mir einen Finger auf den Mund legte. Dann lächelte sie, streifte meine Lippen mit den ihren, hielt einen Augenblick den Kopf schief, als lausche sie einem geheimnisvollen Klang nach, drehte sich um und verschwand.
MITTEN DRIN UND DOCH WEIT WEG
Anfang 1975, kurze Zeit nach Alessandras Besuch wurde ich zum ersten Mal vom Verfassungsschutz angesprochen.
Ich stand unweit unseres Haustors an der Haltestelle und wartete auf die Straßenbahn - ich glaube, ich war auf dem Weg ins Öko-Institut -, als sich ein untersetzter Mann zu mir gesellte. Er hatte die Hände tief in die Taschen eines dünnen Mantels gestemmt, sah prüfend die Hauptstraße hinauf, als halte er nach der Bahn Ausschau, lächelte mich dabei ein paar Mal wie einen flüchtigen Bekannten an, von dem man nicht weiß, ob man ihn grüßen soll oder nicht, und kam schließlich zur Sache.
F ür einen Augenblick war ich geneigt, ihn für einen jener Verrückten zu halten, über die man in der Altstadt an jeder Ecke stolpert, wenn sie beschwörend von Geheimdiensten, göttlichen Boten oder außerirdischen Besuchern faseln. Doch als er halblaut, aber bestimmt "Es geht um Frau Miraio" murmelte, so als spräche er eine geheime Losung oder eine in Vergessenheit geratene Zauberformel, erstarrte ich. Zudem kannte er meinen Namen. Jeden Augenblick konnten die Handschellen um meine Handgelenke klicken.
Er stellte sich als "Ernst" vor, wobei unklar blieb, ob es sich um einen Vor- oder Nachnamen handelte. Als Deckname mochte er taugen, und da ich ihn nie so ansprechen würde, war es einerlei.
Kaum vierzig Jahre alt, hatte Ernst etwas von einem Fr ührentner, der im Park seine einsamen Runden dreht. Durchaus gepflegt, gab es einige wenige Kontrapunkte in seiner Erscheinung, so als hielte er sich selten unter Menschen auf und habe bestimmte Feinheiten seiner Wirkung auf andere nicht mehr ganz im Griff. Blondes, strähniges Haar quoll unter seiner Baskenmütze hervor. Auf seinen Backen wucherten lange zottlige Koteletten. Sie verliehen seinem Ausdruck etwas Schräges, Verschmitztes, geradezu Verschlagenes. Im Gegensatz dazu stand seine untadelige Ausdrucksweise. Gleichgültig, was ich ihm heute und bei unseren späteren Zusammentreffen an den Kopf werfen sollte, stets blieb er höflich und korrekt. Nichts brachte ihn aus der Ruhe, nichts nahm er persönlich.
"S ie halten nicht viel vom Terrorismus, Herr Heilant?"
Ich fragte mich, was er wu sste. Allein die Tatsache, dass Alessandra bei mir übernachtet hatte, konnte mir eine Verurteilung wegen Mitgliedschaft und Unterstützung einbringen. Drei Jahre, wenn sie sich etwas einfallen ließen, vielleicht mehr.
"Was wollen Sie von mir?" Ohne mein schlechtes Gewissen h ätte ich ihn vermutlich einfach stehen lassen.
"Herr Heilant, wir wissen nat ürlich von ihren Verbindungen zu Frau Miraio, von ihrer, ähm, sagen wir mal, Vergangenheit." Was zum Teufel meinte er? Ich kam mir wie ein Massenmörder vor, der nach dreißig Jahren in Chile vom Mossad gestellt wird. "Sie verstehen sicherlich, dass wir sie im Auge behalten haben." Mein Herz machte einen Sprung, doch mein Begleiter fuhr ruhig fort. "Wir sind froh, dass Sie vernünftiger waren als ihre Weggefährtin. Sie sind ein politischer Mensch und haben mit Ihrer Meinung nicht hinterm Berg gehalten … Sicher, nicht alles findet unsere ungeteilte Zustimmung, das möchte
Weitere Kostenlose Bücher