Die Himmelsleiter (German Edition)
15:45:27
Subject: hi monti!
Dann folgte ein kürzerer oder längerer Text, der mit einem QUIT abgeschlossen wurde. Es waren offenbar E-MAILs, elektronische Nachrichten älteren Datums. Die meisten stammten von einem gewissen Tom Franp von der University of California in Los Angeles, die anderen von verschiedenen Leuten in Santa Cruz, alten Bekannten, wie ich vermutete.
Ich machte mir die M ühe, alle Mails zu lesen. Sie waren eine seltsame Mischung aus privaten Mitteilungen ("russell, der alte schwerenöter, hat eine neue freundin, eine blutjunge studentin, die sich tex nennt. sie hätte dir gefallen …") und einem eigentümlichen Fachchinesisch, dessen Hintergründe und Feinheiten mir unzugänglich waren. Im Grunde war nichts damit anzufangen. Einzig MAIL42, Tom Franp letzter Brief, fiel aus dem Rahmen. Beim Lesen befiel selbst mich eine Ahnung dessen, um was es ging.
hi monti!
i ch habe lange ueber dein letztes mail nachgedacht. wahrscheinlich hast du recht. es muss eine moeglichkeit geben, auch wenn diese, hoffentlich!, nur hypothetischer art sein sollte.
t atsaechlich ist mir etwas eingefallen. es gibt eine theorie, die erstaunliche parallelen zu deinen annahmen aufweist. konsequent zu ende gedacht, koennte man sich etwas vorstellen, das ich einen vakuum-blasen-instanton nenne. das klingt harmlos, aber ein solches geraet koennte sich als eine echte weltuntergangsmaschine entpuppen. allerdings weiss ich nicht, ob es funktionieren wuerde, und selbst wenn, die wirkung waere in keiner weise vorauszuberechnen. es koennte zum aeussersten kommen, vielleicht taete sich aber nicht viel, moeglicherweise gar nichts.
w enn solitonen ins innere eines plasmas tunneln koennen, waere es denkbar, dass sie auch von einem vakuum in ein anderes …
Mit klopfendem Herzen überflog ich den Rest. Ich verstand wenig, doch, was ich verstand, war ungeheuerlich. Schnell beruhigte ich mich wieder. Tom Franps Zeilen klangen so abwegig, als entstammten sie einem billigen Science Fiction-Roman. Kaum denkbar, dass sich ernsthafte Wissenschaftler mit solchen spinnerten Ideen beschäftigten. Ich gab MAIL42 auf den Drucker. Vielleicht wusste Chloé mehr damit anzufangen.
Es war kurz nach fünf. Für meine Verabredung war es zu früh, für das Hotel zu spät. Noch in Gedanken an das, was Franp in seinem Brief angedeutet hatte, nahm ich mein EARN-Manual zur Hand und blätterte darin herum. Ich war flüchtig mit dem System vertraut. Von der Redaktion aus hatte ich eine sporadische Kommunikation mit Altomonte in Genf geführt.
Ob ich Tom Franp in Kalifornien eine Mitteilung schicken sollte? Sein Brief war schon ein paar Jahre alt, und vermutlich weilte er schon längst nicht mehr in Los Angeles. Außerdem, was hätte ich ihm schreiben sollen? Unwahrscheinlich, dass ihn Altomonte eingeweiht hatte.
W ährend mir solcherart Gedanken ungeordnet durch den Kopf schwirrten, tippte ich auf der Tastatur herum. Mehr aus Gewohnheit - von Hamburg aus hatte ich es unzählige Male getan - gab ich den Befehl cpq_names cern ein. Damit konnte ich mir die gegenwärtigen Benutzer am Zentralrechner des Europäischen Instituts anzeigen lassen. Manchmal hatte ich Glück gehabt, und Altomonte saß gerade an seinem Terminal. MONTI hatte dann in der langen Reihe der log-ins gestanden. Wenn die Netzknoten mitspielten, kam so ein echter Dialog zustande.
Auch heute f üllte sich der Bildschirm mit Zahlen, Kürzel und Codes. Um diese Stunde mochten etwa achtzig Benutzer eingeloggt sein. Und doch brauchte ich nur den Bruchteil einer Sekunde, um inmitten dieses Wirrwarrs die vertrauten fünf Buchstaben zu entdecken. Zuerst meinte ich, mich getäuscht zu haben, beugte mich wie ein Halbblinder vor, nahm sogar die Hand zu Hilfe und strich über das Glas, als könnte ich mich tastend der Authentizität dieser Zeichen eher versichern. Aber es gab keinen Zweifel. Es war seine Benutzernummer, und so naheliegend es gewesen wäre, eine dritte Person am Werk zu vermuten, in diesem Augenblick war ich mir sicher, dass er es selbst war. Für Altomonte war diese Rechennummer etwas sehr Persönliches gewesen. Es gab ein Dutzend andere Codes, die seine Assistenten oder Studenten benutzt hatten. Niemals hatte aber jemand mit MONTI gerechnet. Seine Zugangsberechtigung war ihm fast heilig gewesen, und es hätte schon eines besonders pietätlosen Nachlassfledderers bedurft, um in den Besitz des zugehörigen Passwortes zu gelangen. Ich spürte geradezu, dass er lebte, dass er
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