Die Himmelsleiter (German Edition)
Das Universum begänne zu kochen.
Altomonte hatte ein Vakuum-Blasen-Instanton erzeugen wollen, er hatte eine Apparatur geschaffen, die man mit Franps Worten getrost als Weltuntergangsmaschine bezeichnen konnte.
Lange dachte ich nach, versuchte die physikalische Machbarkeit dieses verr ückten Experiments abzuschätzen. Wenn es tatsächlich funktionierte, würde hinterher nichts mehr so sein wie vorher. Aber war es überhaupt ein Experiment? Es war das Gewaltigste, was sich jemals ein Mensch vorgenommen hatte, es mehr als das, was Gott, sofern es einen gab, bisher gewagt hatte, es war Apokalypse und Genesis in einem.
Je l änger ich überlegte, desto unsicherer wurde ich. Die einzelnen Teile des Planes klangen durchaus vernünftig und praktikabel, es war das Ganze, das, was Altomonte daraus gemacht hatte, das der Ausgeburt einer krankhaften Phantasie glich.
Und pl ötzlich war sie wieder da, die Angst vor der Bombe, die Angst, die meine Jugend begleitet, die mein Leben immer wieder heimgesucht hatte, für Wochen oder Monate, manchmal für Jahre. Der Druck in meinem Kopf wuchs. Er fühlte sich an wie ein aufgeblasener Autoreifen. Mir war schwindlig. Wie eine Katze streckte ich alle viere von mir, um mich abzustützen.
Als ich wieder klar denken konnte, sp ürte ich Chloés Hand auf meiner Stirn. Selbstvergessen streichelte sie mich. Ich richtete mich auf.
"Das sind doch Hirngespinste! Das ist doch nicht wirklich m öglich?!" Ich schüttelte hilflos den Kopf. Vielleicht hätte sie mich jetzt nur zu bestärken brauchen, und alles wäre wieder in Ordnung gewesen. Es hätte nur eines Lächelns, einer winzigen Bewegung ihres Kopfes bedurft, um den Alptraum zu beenden. Doch stattdessen sagte sie: "Ich wünschte, es wäre so." Mehr als ihre Worte, bewies mir die tiefe Niedergeschlagenheit, mit der sie sie aussprach, wie ernst es ihr war.
Es war Nachmittag geworden, und die Sonne schickte sich an, im rötlichen Dunst hinter der Stadt zu versinken. Angezogen lagen wir auf dem Bett, hatten uns aneinander gekuschelt, ohne Lust auf mehr zu verspüren. Ich fühlte mich wie ein Schiffsbrüchiger auf einer einsamen Insel, der das unwahrscheinliche Glück hat, eine schöne Gefährtin an seiner Seite zu haben. Es ging mir besser, Genf, Altomontes Höllenmaschine, alles vermeintlich Wirkliche war verblasst. Es gab nur noch dieses Zimmer, dieses Bett, sie und ich. Und plötzlich wünschte ich, auch unser Universum hätte einen Notausgang, Chloé könnte auch mich in eine bessere Welt hinüberretten.
"K önnte unser eigenes Universum so entstanden sein?" fragte ich unvermittelt. "Ein Vakuum, in das eine Blase niedrigerer Energie eindringt, neue Teilchen, die sich darin bilden und sich mit ungeheurer Geschwindigkeit in alle Richtungen ausbreiten?" Chloé murmelte etwas. Sie schien zu dösen. War der Urknall der Schöpfungsakt eines verrückten Wissenschaftlers gewesen, irgendeines Wesens, das damit vor Urzeiten sein eigenes Universum zerstört hatte? Gab es tatsächlich einen Gott, auch wenn es nur ein unbewusster, sich in seinem Schöpfungsakt selbst vernichtender Schöpfer war? Und würde das immer so weitergehen? Würde das Universum von einem Tal in das nächsttiefere kullern, wie eine Flipperkugel, die von den Altomontes dieser Welt, mit heftigen Stößen im Spiel gehalten wird?
"Soll ich mit Bell reden oder mit Montaigne?" Ich stand in der Tür und hielt sie umklammert, als sei sie das einzige, das Bestand haben würde.
Sie gab mir einen Abschiedsku ss. "Lieber nicht. Sie würden dich für verrückt erklären."
DEUTSCHE HELDEN
Zwischen Todesblitzen waren die Deutschen drei Tage lang die Hauptdarsteller von makabren Heldentaten, denen die Welt mit Gefühlen der Angst, der Erleichterung und der Bestürzung beigewohnt hat. Wieder einmal haben die Deutschen gezeigt, dass sie anders sind als andere, extremer, unberechenbarer, maßloser im Guten wie im Bösen. (Corriere della Sera, 20. Oktober 1977)
Wenn ich heute an das Jahr 1977 zurückdenke, wundere ich mich, wie viel in diesen wenigen Monaten Platz finden konnte. Es war das Jahr, in dem sich meine Beziehung zu Altomonte, zu Alessandra und selbst jene zu Meike entscheiden sollte.
1977 war aber auch das Jahr der blutigen Spur des Terrorismus, für manchen von uns auch der klammheimlichen Freude nach der Ermordung Bubacks, der Angst, im Sympathisantensumpf unterzugehen, der Wut angesichts von Stammheim, der Resignation in einem bleiernen Herbst.
Die
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