Die Himmelsleiter (German Edition)
Ereignisse in der fernen Bundesrepublik strahlten auch nach Heidelberg aus. Wie die Sterne und Planeten des Horoskops beeinflussten sie auf geheimnisvolle Weise auch das Leben in unserem Mikrokosmos. Der Sponti -AStA stand vor dem Aus, und das Collegium Academicum , der letzte Zufluchtsort der undogmatischen Szene, sollte bald geräumt werden.
F ür mich persönlich hatte das Jahr gut begonnen. Die Arbeit im Öko-Institut füllte mich aus, und, was zu meiner Hochstimmung vielleicht noch mehr beitrug, ich hatte mich verliebt. Sie hieß Hedwig, war Biologin und befasste sich mit Umweltverträglichkeitsprüfungen. Dass sie mit uns unter einem Dach arbeitete, erleichterte das Zusammenleben zwischen Meike und mir nicht gerade. Hinzu kam der heute seltsam erscheinende Anspruch, offen, eine für alle Beteiligten faire Lösung des Problems zu finden. Abendelang diskutierten wir zu dritt, manchmal auch unter Hinzuziehung eines neutralen Schlichters, verschiedene Möglichkeiten des Zusammenlebens - ein nicht nur aus der Entfernung peinlich anmutendes Unterfangen. So wundert es nicht, dass die Affäre schon bald in diesem Übermaß an allseitigem gutem Willen wie in einem ausgetrockneten See versandete. Als wir im September nach Kreta in Urlaub fuhren, war Hedwig nur noch eine schöne, wenn auch nicht ganz ungetrübte Erinnerung.
Meike dagegen hatte sich st ärker verändert. So würdevoll sie die überraschende Last meiner Untreue getragen hatte, so wenig war sie bereit, hinterher wieder zur Tagesordnung überzugehen. Begonnen hatte es damit, dass sie die Wände und Möbel in ihrem Zimmer lila gestrichen hatte und sich nur noch zu besonders wichtigen Anlässen schminkte. Sie las die einschlägige Frauenliteratur, ging im Frauenzentrum ein und aus und traf sich regelmäßig mit ihrer Frauengruppe. Neben diesen sichtbaren Veränderungen, gab es noch andere, weniger deutliche, schleichende, die unser Zusammenleben in kurzer Zeit aber völlig umkrempelten.
Bei der Sprache fing es an. Sie bestand darauf, mit Frau bezeichnet zu werden, und wenn mir im Beisein ihrer Freundinnen ein gewohnheitsmäßiges Mädchen oder Mädel herausrutschte, erstarb die Unterhaltung, und den Blicken nach, mit denen sie mich bedachten, war es, als kehrte ich gerade mit offener Hose von einer besonders widerwärtigen Schändung nach Hause. Im Bett ging es weiter. Hatte ich mich bis dahin für einen ganz passablen Liebhaber gehalten, musste ich nach nächtelangen Detailanalysen unseres Sexuallebens erkennen, dass ich mich kaum anders verhielt, als jener Durchschnittsmann, der sich ohne viele Umstände über seine Frau wälzt und nach wenigen unbeholfenen Stößen auf seine Seite des Bettes rollt, um dort augenblicklich einzuschlafen. Auch was den Haushalt anging, auch hier schlummerte der von den Jahrhunderten verwöhnte Unterdrücker in mir.
Nun lag mir nichts ferner, als Meikes Kritik an meinem Machotum ins L ächerliche zu ziehen. Im Gegenteil, ich wusste, dass sie recht hatte und bemühte mich nach Kräften, meine neue Rolle auszufüllen.
Ende des Jahres trennten wir uns. Sie brauche Zeit, um herauszufinden, wie sie leben wolle, behauptete sie und lie ß durchblicken, auch ich müsse irgendwann einmal erwachsen werden. Ein Jahr lang sahen wir uns nur sporadisch, führten eine Beziehung, die es offiziell überhaupt nicht gab, die völlig unverbindlich und doch allgegenwärtig war. Als ich Anfang 1979 nach Berlin zur taz ging, heirateten wir. Nachdem wir nicht voneinander losgekommen waren, meinten wir, es zu Abwechslung einmal mit einer größeren Verbindlichkeit probieren zu müssen.
Was Altomonte anging, hatte sich wenig ge ändert. Er war zurückgekehrt und nahm in meinem Leben seinen alten Platz ein. Wir wohnten nicht mehr zusammen, ich hatte meine eigene, von ihm klar abgegrenzte Arbeit und auch Alessandra, das verbindende Glied zwischen uns, fehlte. Und doch schwang unsere Beziehung wie ein Pendel in jenen Zustand zurück, den sie im ersten Jahr unserer Freundschaft innegehabt hatte.
Altomonte hatte ein m öbliertes Zimmerchen in Neuenheim, unweit des Philosophenwegs und der Theoretischen Physik gefunden. Die dunklen und muffigen Möbel erinnerten an ein Freilichtmuseum für kleinbürgerliche Wohnkultur der dreißiger Jahre. Er störte sich nicht daran. Wie er wohnte, war ihm gleichgültig, zumal er selten jemanden zu sich einlud. Zudem verbrachte er einen Großteil seiner Zeit in seinem Büro und den verschiedenen Labors, wo sich seine
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