Die Himmelsleiter (German Edition)
gewähren konnte.
Als das Semester zu Ende war und der Sommer mit steigenden Temperaturen vorankam, trafen wir uns regelmäßig auf den Neckarwiesen. Altomonte hatte es nicht weit vom Institut, und ich verspürte immer häufiger das Bedürfnis, mich von meinen anstrengenden Frauen zu erholen. Es war die Zeit, als ich mich zu fragen begann, ob der ganze Aufwand überhaupt lohnte. So lagen wir lesend auf einer Decke, starrten auf den Fluss hinaus oder hielten nach hübschen Studentinnen oder Krankenschwestern der nahen Kliniken Ausschau. Zwischendurch spielten wir Frisbee, und Altomonte zeigte mir verschiedene Wurftechniken, die er aus Kalifornien mitgebracht hatte und in Heidelberg so spektakulär wirkten, als reite er auf einer zehn Meter hohen Welle über den Neckar. Obwohl er sich dabei nur wenig bewegte, erforderte dieses Hobby zweifellos auch ein Mindestmaß an körperlicher Betätigung - ein Tribut, das er anscheinend seiner Zeit in Santa Cruz zollte. Manchmal sprach er eine Frau an, die ihm gefiel, und lud sie zum Mitspielen ein. Wenn dann aus dem zwanglosen Kontakt mehr geworden war, zog ich mich unter einem Vorwand dezent zurück und überließ die beiden ihrem Treiben. Meistens blieben wir aber unter uns, redeten, diskutierten oder spielten Schach.
An einem dieser Tage lagen wir wieder einmal auf dem feuchten Gras. In der Nacht hatte es geregnet. Die Sonne schien von einem klaren, durchsichtigen Himmel. Wie blank poliert, zeichneten sich Schlo ss und Königsstuhl vor uns ab. Ponto, der Bankier, war gerade erschossen worden. Auch Alessandra sollte hinter dem Anschlag stecken, und der erneute Fahndungsaufruf geisterte durch Presse und Fernsehen. Überall hingen Plakate. Altomonte hatte es mit der RAF.
Ich verstand lange nicht, worauf er hinauswollte. Er mokierte sich über das Missionarische des Terrorismus, der ganzen Linken, über die Heilskonzepte, die notfalls auf Kosten ihrer Adressaten durchgesetzt werden mussten. Über eine stellvertretende Aufopferung, die er typisch deutsch nannte.
"Warum k önnt ihr euch nicht einfach um eure eigenen Dinge kümmern? Wo kommt eigentlich dieser Drang her, immer jemanden oder etwas retten zu wollen, die Arbeiter, die arische Rasse, die freie Marktwirtschaft, die Umwelt, die ganze Erde?"
Unversehens sah ich mich in die Rolle gedr ängt, das Deutschtum, was immer das sein mochte, verteidigen zu müssen. Nicht gerade meine Lieblingsaufgabe, wie ich zugeben muss. Wie viele andere fühlte ich mich nicht als Deutscher . Abgesehen davon, war ich mir nicht sicher, ob etwas an dem dran war, was er sagte. Was war mit Alessandra? Sie war keine Deutsche. Gab es überhaupt eine deutsche Mentalität oder irgendeine andere?
"Du t äuschst dich, was Alessandra angeht", er legte die Hände hinter dem Kopf und schloss die Augen, "ihr ging es niemals darum, jemanden zu erlösen." - Was hatte sie bei unserem letzten Treffen gesagt? "Es ist eine Frage der Würde." - "Sie macht ihre Chose", er hatte sich angewöhnt, ständig von einer Chose zu reden, "Und sie macht sie vor allem für sich selber. Wenn du schon ein gutes Beispiel suchst, dann nimm doch dich!"
"Mich?!" fragte ich mehr erstaunt als beleidigt.
"Ja, sicher! Wer versucht denn die Welt zu retten? Wer hat es den ganzen Tag mit dem Waldsterben, der radioaktiven Verseuchung, Pestiziden und was weiß ich noch alles? Gut, es ist nur die Umwelt, die du retten willst", er sagte Um-Welt , "Aber das ist ja kein Pappenstiel, oder?! Du hast sogar einen Beruf daraus gemacht!"
Anstatt darauf einzugehen, drehte ich den Spie ß um. "Und was ist mit dir?"
" Ich bin kein deutscher Held. Ganz im Gegenteil, mir ist es vollkommen schnuppe, was aus den anderen wird, ich habe keine Heilslehre zu verkünden."
Ich war mir nicht mehr sicher, auf welcher Seite ich stand. Hatte ich bisher Altomonte und vor allem Alessandra als skrupellose Weltbegl ücker erlebt, die jederzeit bereit waren, für ihre Idee über Leichen zu gehen, sie über echte, er nur über ideelle, war ich plötzlich selbst der totalitäre Denker, der im Namen der Moral zu allem fähig sein sollte. "Nein", sagte ich langsam, "ihr macht es euch zu einfach."
"S chau", er hatte sich wieder aufgesetzt und tat so, als liege die Auflösung für jeden klar erkennbar auf der Hand. "Alessandra liebt die Radikalität um ihrer selbst willen, vielleicht will sie damit ihre Eltern, uns, die ganze Welt schockieren. Mir geht es um so etwas wie Perfektion, nicht um Gut oder Böse. Du bist der
Weitere Kostenlose Bücher