Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Himmelsleiter (German Edition)

Die Himmelsleiter (German Edition)

Titel: Die Himmelsleiter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
Vom Netzwerk:
Versuchsaufbauten türmten.
    Er hatte sich ein altes Hollandrad besorgt, mit dem er sich in Heidelberg vorw ärtsbewegte wie auf einem Geisterschiff, mehr darauf thronend als sitzend und mit seinem ungelenken Fahrstil in den engen Gassen sich selbst und seine Mitmenschen gefährdend. Auch zu uns hinaus, in die Südstadt, fuhr er häufig mit dem Rad - für einen dem Sport so grundsätzlich abgeneigten Menschen wie Altomonte fast eine körperliche Höchstleistung. Sein erster Besuch hatte noch unter der Spannung des Wiedersehens gelitten. Doch bald ging er bei uns ein und aus, und ich freute mich, wenn er kam und ich meine Arbeit unterbrechen konnte, um ein unbequemes, aber stets anregendes Gespräch zu führen. Manchmal war ich es, der zu ihm ins Institut hinausfuhr, um einen Kaffee zu trinken, ein wenig über die Fortschritte der Physik zu plaudern oder mir das eine oder andere Experiment erklären zu lassen. Ansonsten trafen wir uns in der Stadt, abends im Weißen Bock oder in der Ratsschänke , tagsüber im Café Burkhardt oder im Schnookeloch .
    F ür Politik interessierte er sich überhaupt nicht mehr. Der Kampf gegen die zunehmende Repression in Stadt und Universität war für ihn pubertäres Getue, bei Studenten verständlich, bei erwachsenen Menschen Ausdruck von Unreife. Vollversammlungen und Vorlesungsboykotts nahm er nur zur Kenntnis, soweit sie seine eigenen Lehrveranstaltungen betrafen. Allerdings war an den Naturwissenschaftlichen Fakultäten nur wenig von dem allgemeinen Aufruhr zu spüren.
    Gleichwohl er Gleichberechtigung als selbstverst ändlich anerkannte, hielt er die autonome Frauenbewegung für einen Aufstand der Zukurzgekommenen. Unnötig zu erwähnen, dass ihn diese Einstellung bei Meike nicht beliebter machte. Bald waren sie wie Katz und Maus, und meine Verbindung zu Altomonte musste mehr als einmal als sichtbarer Beweis meines eigenen schlummernden Machotums herhalten.
    Wie die Frauenbewegung war ihm auch die Alternativbewegung insgesamt suspekt. Das allgemeine Aussteigen aus den etablierten Strukturen, der Traum vom besseren Anderen, das sich angeblich langsam ausbreiten und schließlich durchsetzen musste, war für ihn die billige Illusion der Gescheiterten. Seine eigene wissenschaftliche Karriere vor Augen, meinte er, das wirklich Bessere könne sich nur in der direkten Konfrontation durchsetzen. Wissenschaftliche oder politische Revolutionen gelangen oder scheiterten. Auf Schleichpfaden kamen sie jedenfalls nie zum Ziel.
    Auch f ür die Problemgespräche zwischen Meike, Hedwig und mir hatte er wenig Verständnis. Mehr als einmal sagte er: "Es ist dein gutes Recht, beide zu vögeln. Wozu dieser ganze Firlefanz?"
    Nur dem Terrorismus, dem alles beherrschenden Thema des Jahres, brachte er etwas mehr Interesse entgegen. Obwohl er Ziele und Mittel der RAF ablehnte, schien er von der Radikalität, dem unbedingten Einsatz ihrer Kämpfer fasziniert zu sein. Ich glaube, für ihn war der Terrorismus kein politisches oder militärisches Problem, sondern ein psychologisches Phänomen. Er beschäftigte sich damit einerseits, um Alessandra besser zu verstehen, andererseits, um den Wurzeln seiner eigenen Kompromisslosigkeit - er hatte sich zu Beginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn als eine Art Wissenschaftsterrorist betrachtet - auf die Spur zu kommen.
    Wozu ich mich überhaupt mit ihm abgegeben habe? Diese Frage habe ich mir selbst mehr als einmal gestellt und weiß bis heute keine befriedigende Antwort darauf. Auch wenn ich seine Standpunkte ein wenig überzeichnet habe und Altomontes eigene Worte differenzierter und überzeugender klangen, unsere Einstellungen und Meinungen lagen meilenweit auseinander. Dabei war er noch nicht einmal wirklich reaktionär. Im Grunde war er unpolitisch. Hinzu kam, dass er sich über den Zeitgeist wie über eine Geschwindigkeitsbeschränkung hinwegsetzen konnte. Er nahm die Zeichen durchaus wahr, nur galten sie nicht ihm, sondern der dumpfen Masse, die alles mitmachte, und, bei aller Sympathie, die er mir entgegenbrachte, letztlich auch mir. Wie schon einmal brauchte ich Altomonte vielleicht als Prüfstein meines Denkens. Aus seiner kritischen, manchmal zynischen Distanz heraus trat ich selbst deutlicher hervor. Und auch Meike mochte nicht ganz unrecht haben, wenn sie mich verdächtigte, im Grunde meines Herzens die Sprüche des Freundes zu teilen. Vielleicht war er tatsächlich so etwas wie ein A lter ego , der innere Schweinehund, dem man stellvertretend Auslauf

Weitere Kostenlose Bücher