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Die Himmelsleiter (German Edition)

Die Himmelsleiter (German Edition)

Titel: Die Himmelsleiter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Lalli
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unterhielt uns mit abstrusen Geschichten aus seinem Leben, die er in einer Mischung aus deutschen, englischen und italienischen Brocken - ein Wortschatz mit wenigen, sehr weit gefassten Begriffen - zum besten gab. Er bestand darauf, dass wir Männer mit ihm mithielten, und wenn er dann endlich ging, blieb uns selten genug Unternehmungsgeist, um mit Meike und Brit noch einmal den beschwerlichen Weg die Klippen hinunter zu Strand zu gehen.
    Auch zum Dorf war es weit, zumal wir zu Fu ß in der Hitze auch einiges an Einkäufen zu schleppen hatten. Aber das Leben in unserer ungewöhnlichen Herberge war auch noch in anderer Hinsicht beschwerlich. Es gab kein elektrisches Licht und kein fließendes Wasser. In der Terrasse war eine hölzerne Luke eingepasst, unter der sich eine gutgefüllte, unterirdische Zisterne befand. Zum Duschen musste man einen Eimer hinunterlassen und sich dann den eiskalten Inhalt über den Kopf schütten. Dreißig Meter vom Haus stand ein Verschlag, den man tags wie nachts aufsuchen musste, wollte man sich der drängendsten Bedürfnisse entledigen. Zu allem Überfluss war der Weg zu diesem einfachen Plumpsklo auch noch gefährlich, da sich, laut Haridimos, dort Schlangen herumtrieben.
    Die einfachen Verh ältnisse, die unseren Aufenthalt prägten, wurden von der Einmaligkeit der Lage mehr als aufgewogen. Nie wieder habe ich etwas Vergleichbares erlebt, wie dieses Gefühl, über dem Abgrund zu schweben. Auch wenn Kreta mit Orten gespickt ist, an denen Götter zur Welt gekommen sein sollen, sich bekämpft oder geliebt haben, keine Stelle gleicht jener zwischen Himmel und Erde, an der wir drei Wochen im September 1977 verbracht haben.
    Als ich Jahre sp äter wieder nach Pitsidia kam und das Haus suchte, musste ich feststellen, dass an der gleichen Stelle ein Restaurant stand. Viele Autos parkten um den einsamen Baum, an dem wir das andere Ende unserer Wäscheleine festgebunden hatten.
    So merkw ürdig es klingt, das meiste, was ich über Altomontes Arbeit weiß, seine Gedanken, die Pläne, die er schmiedete, habe ich auf Kreta erfahren. Vielleicht brauchte er den Abstand, um die Umrisse des Gebäudes, an dem er seit nunmehr zehn Jahren arbeitete, besser sehen zu können. Vielleicht war es die Insel selbst, die Kargheit des Bodens und der Vegetation, die ihn inspirierte. Jedenfalls saßen wir oft auf dem Mäuerchen unserer vorderen Terrasse wenige Meter vom Rand der Steilküste, blickten in die Weiten der Bucht zu unseren Füßen, sahen den langen zerfaserten Wolkenstreifen zu, die von Westen her landwärts trieben, oder den Wellenkämmen, die aus der Entfernung wie dünne Linien ans Ufer rollten und ihre Gischtwolken hoch in die Luft wirbelten. Manchmal kletterten wir auch in den Felsen herum, um unsere Betrachtungen an einem noch luftigeren Ort anzustellen, oder nahmen den Weg nach Pitsidia freiwillig in Kauf, um in der staubigen Hitze allerlei Gedankenspielen nachzuhängen.
    R ückblickend glaube ich, dass meine Freundschaft zu Altomonte auf Kreta ihren kurzen Höhepunkt erreichte. Vor seinem Amerikaaufenthalt war unsere Beziehung in gewisser Hinsicht unmittelbarer gewesen, maßloser in den sich anziehenden und abstoßenden Kräften. Die Behutsamkeit, die jetzt jeder von uns im Umgang mit dem anderen an den Tag legte, war neu und zeugte von gegenseitigem Respekt. Mehr als je zuvor waren wir bereit, uns ernst zu nehmen und anzuerkennen. Wieder zuhause in Heidelberg hätte diese Annäherung vielleicht mein Leben, zumindest meine Arbeit verändert, wenn sich nicht jener Oktobertag wie eine unüberwindbare Kluft zwischen uns geschoben hätte. Weder er noch ich verloren je ein Wort darüber, und doch würde das, was sich noch ereignen sollte, für immer zwischen uns stehen und uns dazu verurteilen, wie geschiedene Eheleute miteinander umzugehen, mit sichtbarem Bemühen und doch auf eine nicht wiedergutzumachende Weise enttäuscht.
    Altomonte hatte in Deutschland dort weitergemacht, wo er sieben Jahre zuvor hatte aufh ören müssen. Von der alten Chaos-Clique waren nur zwei übrig geblieben: Schmal, der Mathematiker und Mitbegründer, und Leicht, der Computerspezialist am Rechenzentrum. Einige Neue waren dazu gestoßen, Physiker zumeist, aber auch ein Informatiker, der über künstliches Leben forschte, und andere Exoten, die sich mit für mich höchst seltsamen Dingen beschäftigten. Altomonte hatte schon bald wieder seine alte Führungsrolle eingenommen. Der Elan, der mit ihm in die Gruppe zurückkehrte,

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