Die Himmelsleiter (German Edition)
Ordnung, sei aber, allen Bemühungen der Meteorologen zum Trotz, praktisch unberechenbar.
F ür Altomonte war das Wetter ein hochkomplexes System, das um eine Art natürlichen Grundzustand, seinen Mittelpunkt, pendelte. Es würde niemals in diesem Punkt zur Ruhe kommen, sondern auf langen Bahnen drum herum schwingen, ohne eine dieser Bahnen jemals ein zweites Mal zu durchlaufen. In den Staub zu unseren Füßen malte er das gleiche Bild, das er Jahre zuvor auf der verschmierten Schiefertafel in seinem Zimmer in der Palatina mit Kreide gezeichnet hatte: ineinander verschlungene Kreise, die eine doppelte Ellipse bildeten, ein stilisierter Schmetterling. Wie das Lorenz'sche Wasserrad besaß auch das Wetter einen Seltsamen Attraktor .
War ich ihm schon bis dahin nur mit M ühe gefolgt, musste ich feststellen, dass er das Gesagte für ganz selbstverständlich hielt. Er wollte auf etwas anderes hinaus.
"S tell dir vor", er hatte den Kopf gehoben und blickte den vereinzelten Wolken nach, die aufs Land zuschossen, als sei ihnen ein Schäferhund mit fletschenden Zähnen auf den Fersen, "das Wetter pendelt um diesen Seltsamen Attraktor wie um einen Magnetpol. Aber es gibt andere Magnetpole, ein paar sind näher, ein paar sind weiter weg. Es gibt vielleicht unzählige davon. Unser armes Wetter ist dazu verurteilt, alle Zeiten seinen Attraktor zu umkreisen wie ein Planet seine Sonne. Aus eigener Kraft wird es nie davon loskommen." Er schwieg, und ich versuchte, mir dieses arme Wetter vorzustellen, von dem der Freund sprach. Ein Hund, der mit einer Leine an einen Pflock gebunden ist? Eine Flipperkugel, die zwischen mehreren Bumpern hin und her gestoßen wird? "Was aber, wenn wir ihm einen kleinen Schubs geben? Es braucht nicht viel, nur ein bisschen Energie an der richtigen Stelle und, Schwupps!, ein anderer Magnetpol fängt ihn sich ein. Und wir haben ein anderes Wetter, eines, das genauso stabil ist wie das bisherige, das aber vielleicht ganz anders ist. Wärmer, kälter, extremer oder, wer weiß, viel ausgeglichener als unseres. Keine Tornados, keine Hurrikans, keine Überschwemmungen, keine Wüsten, keine vereisten Pole. Stell dir einfach etwas vor!" er strahlte mich an, als halte er die Lösung aller Menschheitsprobleme in Händen.
Die Vorstellung, das Wetter k önnte sich grundlegend ändern, hat etwas Beunruhigendes. Ein anderes Wetter? Ein gänzlich anderes Wetter? Als Kinder hatten wir im Scherz gesagt: "Besser so ein Wetter als überhaupt kein Wetter." Was aber, wenn es noch andere Möglichkeiten gab?
"Du meinst kein k ünstliches Wetter, das, was man früher in Science Fiction-Romanen zentrale Wetterkontrolle genannt hat?" vergewisserte ich mich. Ich hatte die Zukunftsentwürfe der fünfziger und sechziger Jahre vor Augen, Menschen, die in wohltemperierten Oasen leben, wo es Regen und Sonnenschein auf Knopfdruck gibt.
Altomonte lachte. "Nein, das wird es niemals geben. Niemand kann etwas so Vernetztes und Energiefressendes wie das Wetter kontrollieren." Er dachte nach. "Wir m üssen bescheidener werden", sagte er schließlich. "Vielleicht gibt es vier oder fünf Möglichkeiten, kann sein, dass es ein paar mehr sind. Stell dir vor, du bist eine Hausfrau, die ihr ganzes Leben das gleiche Waschmittel benutzt hat. Eines Tages denkst du, wie wär's, wenn ich mal was anderes ausprobieren würde? Gehst in den Laden, und da stehen die Eimer nebeneinander: Dash, Persil, Ariel, Omo und wie sie alle heißen. Du kannst dir kein eigenes Waschmittel mixen, aber du kannst dir eines aussuchen."
"U nd wenn ich damit unzufrieden bin, kaufe ich das nächste Mal einfach wieder mein altes Waschmittel?"
"Na ja … Du hast recht, ganz so einfach wird es nicht. Eine Weile musst du schon dabei bleiben. Zehntausend, hunderttausend Jahre oder so. Aber was ist das schon?"
Ja, was war das schon? Ich starrte auf meine F üße. Wenn ich jetzt aufstehe und fünf Schritte gehe, dachte ich, werde ich fünf Sekunden lang fallen. Vielleicht waren es diese fünf Sekunden wert.
Die Sonne in unserem Rücken war zwischenzeitlich ein Stück weitergewandert, lange Schatten auf den Badestrand werfend. Die Frauen waren zurück. Während Meike sich einen Eimer Wasser langsam über Kopf und Körper laufen ließ und dabei kleine Schreie ausstieß, kam Brit über die Terrasse zu unserem Aussichtspunkt. Von hinten umschlang sie Altomonte.
"Was hast du gemacht?" fragte sie ihn auf Englisch.
"Deinem Freund gefällt unser Wetter nicht mehr", antwortete ich,
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